Rezension von Hans-Rainer John


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Adel im Untergang

 

Richard Mason: Der Liebesbeweis
Roman.
Aus dem Englischen von Elfriede Peschel.

Marion von Schröder Verlag, München 1999, 416 S.

 

Wenn man hört, daß ein Achtzehnjähriger ein Erstlingswerk vorlegt - und Mason hat dem Vernehmen nach keine anderen Lebenserfahrungen als das Eton College und ein Literaturstudium in Oxford -, denkt man an Schiller, die Karlsschule und an die „Räuber”, und man erwartet eigentlich einerseits Ungebührlichkeiten, Grenzüberschreitungen, verrücktes Neuerertum und andererseits Unfertigkeiten, Anfängerschwächen, formale Mängel. Kein vernünftiger Mensch würde vermuten, auf etwas Glattes, Konventionelles, aber literarisch ganz Ausgereiftes zu stoßen.

Deshalb ist der Roman eine Überraschung. Ohne Autorenbiographie könnte man Der Liebesbeweis für das Werk eines reifen, erfahrenen und lebensweisen Schriftstellers halten, der seine Klientel versiert mit einer gutkalkulierten Love-Story bedient. Es ist überaus konservativ in der Wahl des Personenkreises, in der Konfliktgestaltung und in der Handlungsführung (alles schon mal dagewesen), stellt sich aber formvollendet, perfekt und literarisch überzeugend dar. Die Handlung hastet nicht wie bei jungen Stürmern und Drängern von einem Tatort zum nächsten, sondern sie wird belastet und verzögert mit moralisierenden Reflexionen, Gedanken und Überlegungen eines Siebzigjährigen, der sich an Ereignisse erinnert, die sich vor fünfzig Jahren zugetragen haben. Der Gestus einer Lebensbeichte wird in bewunderungswürdigem Maße durchgehalten, und man sollte eigentlich denken, daß sie eines Autors bedurft hätte, der selbst viel gesehen, erlebt und durchlitten hat.

Es geht um das Leben der Reichen und Schönen. Armut und Laster wie Drogen, Alkohol oder Prostitution werden gänzlich ausgegrenzt, doch spielt der Besitz von Land und Gut und Titel, spielt die Verfügungsgewalt über Menschen eine Rolle, und dunkle Triebe und Verbrechen aus Haß, Besitzgier und Eifersucht kommen so doch ins Spiel, wenn auch im Rahmen der gesellschaftlichen Oberschicht, des Adels nämlich und des Besitzbürgertums. Elemente der Story sind uns in der Trivialliteratur schon mehrfach begegnet, allein sie werden hier auf eine höhere Stufe gehoben. Der Einblick in das Leben dieser Kreise, zu denen Außenstehende höchstens als hochbegabte Künstler Zutritt haben, ist perfekt.

James Farrell (70), ein erfolgreicher Violinsolist, ein reicher Schloßherr zugleich, hat nach 45jähriger harmonischer Ehe soeben seine Frau erschossen. Seine Gedanken schweifen fünf Jahrzehnte zurück, in die Zeit vor seiner Eheschließung mit Sarah. Die Rückblenden machen das Buch aus und enthüllen die Motive für die Tat.

Heraus kommt die Geschichte von fünf jungen, hoffnungsfrohen, lebenslustigen Menschen. Zwei davon, Ella und Sarah Harcourt, Cousinen, stehen sich, wiewohl fast gleichen Alters und äußerlich einander zum Verwechseln ähnlich, in tiefer Abneigung gegenüber. Ella hat das gewisse Etwas, das Männer anzieht und verrückt macht, und ihr steht ein großes Erbe - Insel, Schloß und hoher Adelstitel - ins Haus. Mit Charles Stanhope verlobt sie sich nur, um ihrer Cousine den begehrten Mann wegzuschnappen. Als sie ihm den Laufpaß gibt, sobald sie James kennenlernt, einen aufsteigenden Stern am Musikhimmel, löst das Sarahs tödlichen Haß aus und den Entschluß, die Nebenbuhlerin um alles zu bringen, was ihr wichtig ist.

Zwischen Ella und James entwickelt sich indes eine tiefe Liebe, allein Ella mißtraut der Freundschaft, die James mit dem homoerotischen Pianisten Eric de Vaugirard verbindet. Sie will, daß sich James vor einer endgültigen Bindung seiner sexuellen Orientierung vergewissert. Indem James dieser Forderung nachkommt, desorientiert er den verwundbaren und feinfühligen Eric tödlich; der zutiefst Enttäuschte nimmt sich das Leben. Erics Tod zerstört die Beziehung von James und Ella. Als sich nach Jahren eine Wiederannäherung anbahnt, wird Ella verhaftet und trotz Unschuldsbeteuerungen auf Grund von Indizien verurteilt. Sie soll den eigenen Vater umgebracht haben. Sarah hat nun ein leichtes Spiel. Sie heiratet James, auch fällt ihr Ellas Erbe zu, Ella verübt im Gefängnis Selbstmord. Nach 45 Ehejahren stößt James ganz zufällig auf den Beweis, daß die Tat, deren Ella angeklagt wurde, von Sarah exakt geplant und perfekt durchgeführt worden war. Er sieht sich als Objekt eines raffinierten Kalküls und vollzieht das Urteil, zu dem ihn das Geständnis seiner Frau zwingt.

Es ist die Geschichte einer verlorenen oder aus Naivität verspielten Liebe und verwirrender Gefühle mit einer sehr sensibel hineingewobenen Musikerbiographie. Die Entwicklung der Ereignisse ist weitgehend logisch und halbwegs nachvollziehbar, die Charaktere sind recht plastisch geformt, die Sprache ist ausgesprochen gewählt und poetisch dazu - lediglich die Reflexionen sind mitunter ein bißchen überzogen und zu wortreich.

„Die Welt” macht den Roman gleich zum Weltbestseller und den Autor zum Shooting-Star unter den Schriftstelleryoungsters - das ist vielleicht ein bißchen übertrieben. Aber lesenswert ist das Buch allemal, und merken sollte man sich den Namen Richard Mason ab heute doch.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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