Rezension von Volker Strebel


 

Wir wissen voneinander mehr, als jeder von uns ahnt
Ernst Jünger/Carl Schmitt: Briefwechsel
Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort
von Helmut Kiesel.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1999, 899 S.
 

Über Ernst Jünger und auch Carl Schmitt ist viel geschrieben worden. Allein die ungewöhnlich lange Zeit, in welcher beide dieses Jahrhundert begleiteten und beschrieben, hatte immer auch Kommentatoren wie Kritiker auf den Plan gerufen. Eine Paradoxie aus der Jagdwelt und nicht nur aus dem Zuständigkeitsbereich des heiligen Hubertus, die den „subtilen Jäger” Jünger sicher erheitert hätte, trifft gerade auf Zeitgenossen wie sie zu: Geht einer aus seiner Deckung, wird er angreifbar - verharrt er darin, wird er verwundbar.

Das Schreckensbild des Unausweichbaren, worin der einzelne gegen seinen Willen und ohne sein Zutun zum Opfer gerät, kennzeichnete unser Jahrhundert. Und bereits zu seinem Beginn schien der Prager Franz Kafka dieses Desaster zu ahnen, als er in seiner Fabel von der Katze und der Maus letztere der Katze gegenüber über die vorprogrammierte Falle jammern ließ. „Du mußt nur die Laufrichtung ändern, sagte die Katze und verschlang die Maus.”

Der endlich vorliegende Briefwechsel zwischen dem feingeistigen Literaten Ernst Jünger und dem konservativen Staatsrechtler Carl Schmitt gibt Einblick in eine Freundschaft, die trotz aller privater Nähe immer auch das gemeinsame Interesse für den distanzierten Blick nüchterner Beobachtung favorisiert hat.

Das „Individuum ineffabile” der mittelalterlichen Philosophie hat Ernst Jünger in seiner distanzierten wie genauen Beobachtung immer bestärkt, er wollte sich zu keiner Zeit durch allgemeine Begriffe endgültig beschrieben oder gar festgelegt wissen.

Dieser gewichtige Band bildet eine lesenswerte Quelle geistesgeschichtlicher Reflektion vor dem Hintergrund von Bedrohung und Ausverkauf authentischen Denkens in unserer Zeit - was den kritischen Leser um so schmerzlicher ein Personenregister im Anhang vermissen läßt. Allein die Vielzahl und weltanschauliche Bandbreite der rezipierten Namen und Werke nötigen Respekt ab, auch wenn nicht in jedem Urteil Übereinstimmung vorliegen wird. Nüchtern hatte Ernst Jünger festgestellt: „Die Mitspieler an unserem großen Drama gehen allmählich aus.” Das war kokett auf das eigene fortgeschrittene Alter bezogen, denn aufschlußreich ist auf jeden Fall, daß beide Autoren gerade im zunehmenden Alter jungen Publizisten, Juristen oder Politikwissenschaftlern zu Anregungen verhalfen. Namen wie Johannes Gross, Jürgen Seiffert oder Rüdiger Altmann stehen hier stellvertretend für ein ansehnliches Spektrum. Und doch überwiegt beider Kritik an unserer Zeit, die, wie in Ernst Jüngers großem Essay Der Arbeiter beschrieben, durch eine technokratisch verantwortete Nivellierung und Vermassung gekennzeichnet ist. In unserer „Werkstättenlandschaft”, so Ernst Jünger, „vermindert sich rapid die Zahl der Zeitgenossen, mit denen noch ein Gespräch sich lohnt”.

In diesem Briefwechsel, der von 1930 bis 1983 geführt wurde, werden die Zeiten und ihre Umstände angerissen und, statt sie direkt zu benennen, durch ein Raster mythologischer Rückbezüge analysiert. Eine beeindruckende Zahl alter Bücher und Veröffentlichungen belegt die ungewöhnliche Belesenheit beider Autoren, wobei besonders der Bezug zu Frankreich und seiner Geschichte auffällt. Sowohl Jünger wie Schmitt lasen leidenschaftlich französische Texte im Original. Immerhin attestierte Carl Schmitt angesichts der gelungenen Rivarol-Übertragungen Ernst Jüngers: „Das Buch ist wunderbar, ein Hochzeitsfest der Verbindung französischen und deutschen Geistes, wie es bisher noch nicht vorgekommen ist.”

Als 1991 Carl Schmitts Glossarium aus den Jahren 1947-1951 veröffentlicht wurde, erstaunten so manche gehässigen Anmerkungen über Ernst Jünger, und in der Tat war die Beziehung der beiden, wie sich auch diesem Briefwechsel entnehmen läßt, nicht frei von Reibungen. Was aber bleiben wird unter dem Strich kritischer Bilanz, ist jene Aura einer intellektuell ausgefüllten Zeitgenossenschaft, die noch den Hauptmann Ernst Jünger mit der Feldpost vermelden ließ: „Ich beeile mich daher, Ihnen mitzuteilen, daß ich wohl erhalten bin, wenngleich befrachtet von Eindrücken wie eine Biene, die einen langen Tag auf roten Wiesen geflogen hat.”


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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