Rezension von Heinrich Buchholzer


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Das wäre ein Stoff gewesen

 

Wolfgang Herles: Fusion
Roman.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999, 268 S.

 

Wer am World Economic Forum in Davos teilgenommen hat, darf seine Zweifel anmelden: Die Formulierung des Autors, daß „der Weltgeist eine Woche lang Quartier im Lungenkurort” nimmt, trifft auf das alljährliche Weltwirtschaftsforum wohl kaum zu. Was da seit Jahren stets im Januar veranstaltet wird, hat nur mit Macht zu tun, mit ökonomischer wie politischer Macht, und mit der Eitelkeit der zahlenden Gäste aus Chefetagen der internationalen Wirtschaft, dabeizusein. Wie schon die alten Römer sagten: Sie kommen, um zu sehen - und um selbst gesehen zu werden. Auch die als Zugpferde geladenen, nicht zahlenden hochrangigen Politiker verkörpern wohl kaum den Weltgeist, sondern nehmen nur aus Kalkül Quartier, und dies in der Regel für eine Nacht.

Zustimmen kann man dem Autor, wenn er feststellt, daß dieses Forum für die Veranstalter finanziell durchaus lohnend ist: „Der schwäbische Ökonomieprofessor Schwab hatte das Gipfeltreffen gegründet und ein florierendes Privatgeschäft daraus gemacht.” Dieser Mann ist, entgegen der üblichen allgemeinen Ankündigung, keineswegs „frei erfunden”. Alle anderen Figuren von Rang müssen sich mit dezenten Hinweisen auf ihre Identität begnügen. So gibt der Autor zu erkennen, daß er etwas von der Welt der Reichen und Mächtigen kennt. Das macht sich immer gut. So hat er auch die Kulisse von Davos erwählt, um seine Leser am Glanz dieser großen Welt teilhaben zu lassen, als Entree zu einem Buch, das zwischen Schnulze und Wirtschaftskrimi rangiert, leider mit einer leichten Schlagseite zum bonbonfarbenen Kolorit.

Da lesen wir denn beispielsweise, wie Herles' Heldin Jacqueline, Top-Managerin einer großen Beratungsfirma, sich anzieht, um zur Soiree zu schreiten. Dafür „wählte sie einen körperbetont geschnittenen Smoking, blanke Haut unter dem Revers”. Auf dem Abendempfang dann „bedauerte sie, daß sie sich zuviel von der Entenleber genommen hatte und deshalb am Kaviarstand (Hosted by the National Reserve Bank, Russia) kaum noch essen mochte... „So schlimm kann es kommen, wenn man zusammen mit dem Weltgeist Quartier nimmt. Ja, es kommt noch schlimmer. Die Dame gerät auf ihrem Bummel entlang der „gastronomischen Flaniermeile” für die Forum-Teilnehmer in eine Bar. Und: „Es gab keinen Whiskey, stellt Jacqueline bedauernd fest.” Das ist wirklich der Gipfel vom Weltwirtschaftsgipfel!

Das Buch hat auch eine Art Helden. Er heißt Sulzer und ist Vorstandsvorsitzender eines deutschen Bankenkonsortiums. Bei Herles, der eine Schwäche für Anglizismen hat, heißt das Chief Executive Officer. Dieser Sulzer verschwindet plötzlich spurlos, nachdem er eben noch, wie seine intime Bekannte Jacqueline, in Davos vorhanden war. Von Sulzers besorgtem Aufsichtsratsvorsitzer übernimmt die Dame den Auftrag, diskret nach dem Verschwundenen zu suchen, obwohl dergleichen niedere detektivische Tätigkeit nicht zu ihren Aufgaben gehört. Damit beginnt der kriminalistische Teil der Geschichte, zugleich ein Ausflug in die Vergangenheit des Bankers Sulzer. Jacqueline fällt dabei unter die Räuber, damit außer den Zutaten des Wirtschaftskrimis (Fusion zweier Banken, gestört durch eine feindliche dritte Bank) auch die lebensbedrohenden Situationen des konventionellen Krimis ins Spiel kommen.

Das heißt, Herles hat viel zuviel in die knapp dreihundert Seiten gestopft. Da ist die Welt der finanziell Mächtigen mit ihrer als fein geltenden Lebensweise, zu besichtigen an den üblichen internationalen Schauplätzen, wie man es von Altmeister Simmel und seinen vielen Epigonen kennt, die sich nun um einen Autor vermehrt haben. Da ist die aufhaltsame Bankenfusion, ein durchaus aktuelles Thema wie die gesamte Fusioniererei. Dann kommt außer der Kriminalhandlung noch eine alte Liebesgeschichte des Bankers mit seiner Klavierlehrerin hinzu und ein aufgewärmter Seitensprung mit der Dame Jacqueline. Dies alles ist flott geschrieben, da fehlt nichts, aber es hat keinen Tiefgang. Den soll es wohl auch nicht haben.

Im Bemühen, vielen Leserinteressen (oder vermeintlichen) zu dienen, hat der Autor den gewichtigen, denkbar aktuellen Stoff verknappt, ja verfehlt: die pralle Geschichte einer konfliktreichen Bankenfusion. Darüber wäre ein guter Roman zu schreiben. Herles, seit Januar 2000 für die ZDF-Kultursendung ASPEKTE verantwortlich, hätte durchaus die notwendigen Kenntnisse aus der Unternehmerwelt und die gestalterische Fertigkeit, einen Fusions-Roman zu schreiben, der sich voll auf ebendiesen weltweit zu beobachtenden Vorgang konzentriert. Es war seine Entscheidung, nicht den sicherlich schwereren, sondern den leichteren - weil seichten - Weg zu wählen. Wolfgang Herles, so war in der FAZ zu lesen, „ist ein Hansdampf in vielen Medien-Gassen”. Hier jedenfalls tummelt er sich auf zu vielen Plätzen - und mit reichlich Allgemeinplätzen.

Sollen die richtigen Banker und Manager, von denen Fusionen vorbereitet, durchgeführt, gewonnen oder verloren werden, dieses Buch lesen? Sicherlich nicht - es ist kaum für sie geschrieben. Eher vielleicht für ein Publikum, das zu den Zaungästen der Macht gehören möchte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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