Rezension von Sven Sagé
Charme ohne Chance?
Harald Hauswald: Seitenwechsel
Aufbau-Verlag, Berlin 1999, 151 S.
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Nie hat er Kopf und Kamera für eine Porträt-Serie eines Staatsratsvorsitzenden hinhalten
müssen. Harald Hauswald ist glimpflich davongekommen. Und auch nicht. Denn, er war so
frei, sich ein Bild vom DDR-Bild zu machen, wie sich die DDR kein Bild von der DDR
machte. Einfach, leicht, selbstverständlich war das für Hauswald nicht. Seine Bilder der anderen
DDR sind nicht deshalb andere Bilder, weil es unkaschierte und unretuschierte
Schwarzweißfotos sind. Was den Grundton traf, der der Grundton der DDR war: Grau?! Keiner
Honecker-Bild-Kolumne im Neuen Deutschland, keiner Brigade-Kombinats-Reportage in der Neuen
Berliner Illustrierten oder Für Dich vergleichbar, sind Hauswalds
Land-und-Leute-Lebensbilder unvergleichbar. Wer die Fotografien von improvisierten Hinterhof-Tages-Galerien
der Vor-89er-Zeit her kannte, wußte: Da kratzt einer nicht am Charme der DDR.
Bedingungslos zeigte Hauswald, wie konsequent uncharmant sich das Land oft gab. Er zeigte, wann und
wo Antiästhetik zur Ästhetik des Landes geworden war. Er zeigte diejenigen, die sich vom
sozialistischen Aufbau verabschiedet hatten und deren persönlicher Abbau unaufhaltsam
schien. Die existierenden Nicht-Existenzen der DDR bekamen in den Bildern ihre Existenz. Der
Fotograf ist ein Aufpasser der hartnäckigsten Art. Unablässig ist er neugierig. Genau guckt er
dann, genau dorthin, wo nicht genau hingesehen wird, weil nicht genau hingesehen werden
soll. Egal, ob das nun das desillusionierende Ende einer Mai-Demonstration (1987) ist oder
der entlarvende Abschluß einer Häuserräumung (1990).
Seitenwechsel heißt nicht beiläufig,
zufällig der neue Hauswald-Band. So umfänglich, eigenständig, ergiebig und erfreulich, im
Sinne des Fotografen, war wohl keiner. Ein echter Hauswald, der Hauswald eben! So
selbstverständlich der 1954 Geborene in der DDR auf der anderen Seite stand, so
selbstverständlich ist er in Deutschland kein Profiteur der Speckschwartenseite. In dem Band, der
Fotografien 1979-1999 verspricht, gibt's keine Fotografien eines wendehalsigen Seitenwechslers. Zur
Ansicht kommt vor allem, was aussichtslos aussah in der DDR. Zur Ansicht kommt, was in
der DDR aussichtsvoll schien. Vom bewußten oder unbewußten Selbsttrotz bis zur bewußten
oder unbewußten Selbstironie hat Harald Hauswald alles aufgespürt, was in der DDR
aufzuspüren war. Er ist ein Finder, kein Erfinder von Realität. Er arrangiert nichts vor der
Kamera. Alles ist für ihn vor der Kamera arrangiert. Die schwarzweißen, erzählerischen
Bildepisoden des Künstlers fügen sich zu einem farbigen Bildpanorama der DDR. Beim Anblick
kommt manchmal das Gefühl auf, daß nur einer, Harald Hauswald, das Bild der späten DDR ins
Bild brachte. Zu sehen ist lauter DDR-Leben. So war's! Und nicht nur so! Nämlich nur zum
Heulen. Was der Fotograf aufnahm, verkraftete er gut, weil er den Irrwitz der Wirklichkeit
als Witz wahrnahm, der stets der erhellende Blitz in seinen Fotos ist. Harald Hauswalds
Fotografien werden zu einer untrügerischen Erinnerungshilfe für die Nachwelt werden. Auch
unversiegbare Quelle zu einem versiegten Land könnte man die Fotos nennen. Auf jeden Fall
immer anzusehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge.