Rezension von Gerhard Keiderling



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„Angenehme Weiterreise!”

 

Friedrich Christian Delius/Peter Joachim Lapp:
Transit Westberlin. Erlebnisse im Zwischenraum.
Mit einem Geleitwort von Egon Bahr.

Ch. Links Verlag, Berlin 1999, 190 S.

 

Als die Botschafter Großbritanniens, der UdSSR und der USA im Sommer 1944 in London das zu Papier brachten, was man später den „Viermächtestatus Berlins” nannte, erwähnten sie die Zugangsfrage mit keinem Wort. Als die westalliierten Militärgouverneure im Frühsommer 1945 vertragsgemäß ihre Truppen nach Berlin schicken wollten, wies ihnen Sowjetmarschall Shukow lediglich eine Eisenbahnlinie, eine Autobahnstrecke und einen Luftkorridor zu. Die Zufahrtswege wurden in der Folge zwar erweitert, doch der Streit um die Zugangsrechte war in vollem Gange und wuchs sich während der Berlin-Blockade 1948/49 zu einem internationalen Konflikt aus. Das New Yorker Abkommen vom 4. Mai 1949, das die Blockade beendete, stellte den ungeregelten Status quo ante wieder her. Der Zugang nach West-Berlin blieb für den Westen eine Achillesferse, jederzeit vom Osten verletzbar. Die Sowjetunion ließ keine Gelegenheit aus, um dem „Klassenfeind” auf dieses „Hühnerauge” zu treten, wann immer sie es für zweckdienlich hielt. Meist schickte sie ihren Ostberliner Stellvertreter vor, der die Anwendbarkeit der Viermächte-Vereinbarungen auf den zivilen Westberlin-Transit bestritt bzw. Neuregelungen auf der Grundlage der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR verlangte. Erst im Zuge der Ost-West-Entspannung konnte im Vierseitigen Abkommen über West-Berlin vom 3. September 1971 und im Verkehrsvertrag zwischen der BRD und der DDR vom 17. Dezember 1971 eine einvernehmliche Regelung getroffen werden.

Was zwischen 1949 und 1989 auf den Zugangswegen von und nach West-Berlin alles ablief, ist Gegenstand dieses Buches. Jenseits der spektakulären Drohungen und Krisen zeigen die Autoren den Alltag auf den Transitstrecken, wie er vor und nach 1971 gewesen war. Die Kontrollpassierpunkte (KPP) waren exakt festgelegt; man benötigte anfangs den Interzonenpaß, später ein Transitvisum und mußte nach 1951 Straßenbenutzungsgebühren zahlen. Entsprechend der jeweiligen politischen Großwetterlage ging die Grenzabfertigung entweder zügig vonstatten, oder aber die Ampeln waren stundenlang auf Rot geschaltet. Zumeist mußten die Transitreisenden entwürdigende Kontrollen über sich ergehen lassen und unterlagen selbst auf der Reise vielfältigen Überwachungspraktiken. Die Aktivitäten des MfS auf den Transitwegen werden dokumentarisch aufgezeigt; im Grunde blieben kein Kilometer der Transitstrecke und keine Einrichtung (Tankstelle, Raststätte, Toiletten) an ihrem Rande unbeobachtet.

Daß auch auf westlicher Seite Bundesgrenzschutz und Polizei aufmerksam Pässe und Ausweise studierten, wird nicht verschwiegen. Auch nicht, daß sich Westberliner und Westdeutsche „eine Art Entschädigung” holten, indem sie im Intershop billig einkauften, in den Minol-Tankstellen preiswert auftankten und in den Raststätten gut und billig speisten. „Man fühlte sich gut dabei, vom Hunger der DDR auf DM profitieren zu können.”

Das willkürliche und unberechenbare Vorgehen der DDR-„Organe” schreckte die Transitreisenden ab und schüchterte sie ein. „Die Grenzer und ihre Vorgesetzten taten alles, um den in Westberlin ohnehin starken Antikommunismus zu fördern ... So etwas wie die DDR wollte keiner.” Wer immer es sich leisten konnte, wich auf den freien, unkontrollierten Luftverkehr aus.

Auf den Transitstrecken spielten sich auch Schicksale ab. Verzweifelte DDR-Bürger versuchten, im Kofferraum eines Autos in die „Freiheit” zu gelangen.

Sehr informativ sind die detaillierten Schilderungen des westalliierten Militärtransits, der Arbeitsweise der nach 1971 eingesetzten Transitkommission, der Zahlung einer Transitpauschale in Millionenhöhe an die DDR und der Finanzierung des Ausbaus der DDR-Autobahnen nach Hamburg und Hannover.

Der Transitverkehr von und nach West-Berlin über das Territorium der DDR war in der Tat „ein Beleg dafür, daß die Situation in Deutschland vor 1989/90 nicht als ,normal` angesehen werden konnte”. Das vorliegende Buch ist mehr als eine Beschreibung von historischen Verkehrswegen, es ist ein Spiegelbild deutscher Wirklichkeit vor 1989 dank einer exzellenten Fotoausstattung.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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