Rezension von Dorothea Körner


cover  

Juri Schiwagos „Lara”

György Dalos:
Olga - Pasternaks letzte Liebe
Fast ein Roman.
Deutsche Bearbeitung von Elsbeth Zylla.
Text- und Bildrecherchen Andrea Dumai.

Rotbuch Verlag, Hamburg 1999, 179 S.

 

Nach seiner Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Anna Achmatowas und Sir Isaiah Berlin widmet der ungarische Schriftsteller und vormalige Direktor des Hauses Ungarn in Berlin (1995-1999) sein neues Buch der Liebe Boris Pasternaks zu der zwanzig Jahre jüngeren Olga Iwinskaja (1912-1995), dem Vorbild der Lara in Doktor Schiwago. Dalos konnte dabei vor allem auf die Memoiren Olga Iwinskajas und deren Tochter Irina Jemeljanowa sowie auf den Briefwechsel Pasternaks mit seiner Cousine Olga Freudenberg zurückgreifen, neu zugänglich waren ihm darüber hinaus die Archive des KGB und des Zentralkomitees der KPdSU. Die schmucklose - nur hin und wieder kommentierende - Darstellung des Faktenmaterials erhebt den Anspruch einer - wenn auch sehr unvollständigen - Biographie Olga Iwinskajas. In seinem dokumentarischen Stil erinnerte mich der Text eher an einen gut recherchierten Spiegel-Bericht. Die Charaktere der Personen - besonders Olgas - werden selten lebendig, bekommen kaum Tiefe, wie man das von der Aufbereitung durch einen Schriftsteller erwarten könnte. Dennoch ist das Faktenmaterial hochinteressant.

Die Liebesgeschichte zwischen Pasternak und Olga Iwinskaja ist tragisch und sensationsgeladen zugleich: Der wohl bedeutendste russische Schriftsteller der Nachkriegszeit, dessen Werke in der Sowjetunion nicht veröffentlicht werden durften, lebte seit 1947 ein Arrangement zwischen legaler Familie und Geliebter, mit der er sich auch in der Moskauer Öffentlichkeit zeigte. In vielen Sommern wanderte er täglich von seiner eigenen Datsche im Künstlerdorf Paradelkino zur winzigen Behausung der Geliebten im benachbarten Ismalkowo - und kehrte abends zu seiner Frau und den Söhnen zurück. Brisanz gewinnt die Liebesgeschichte jedoch durch ihre Verknüpfung mit der internationalen Politik in den Zeiten des Kalten Krieges und den Zugriff von Partei und KGB auf die Geliebte, da man sich an den prominenten Schriftsteller nicht heranwagte, der zudem unter dem persönlichen Schutz Stalins zu stehen schien.

Als Olga Iwinskaja, Redakteurin bei der Literaturzeitschrift „Novyj Mir”, Pasternak 1946 kennenlernte, war sie eine attraktive Blondine von 35 Jahren mit zwei Kindern, die zwei Ehen hinter sich hatte. Sie verehrte Pasternak als Dichter und war von dem „afrikanischen Gott in europäischer Kleidung„ hingerissen. Beide litten an der Problematik ihrer Beziehung, da Pasternak nicht vorhatte, sich von seiner Familie zu trennen. Als der Dichter sich bereits zurückgezogen zu haben schien, wurde Olga schwanger und im Oktober 1949 verhaftet. Der KGB benutzte sie, um Pasternak, der an seinem Doktor Schiwago schrieb und daraus in Privatwohnungen vorlas, einzuschüchtern. „Wegen Nähe zu spionageverdächtigen Personen” wurde Olga zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt. Sie verlor ihr Kind durch eine Fehlgeburt. Pasternak, der gerade Goethes „Faust” übersetzte, sah in ihr „Gretchen” und fühlte sich in ihrer Schuld. Während der vierjährigen Haft unterstützte er ihre Familie, hatte aber nicht vor, die intime Beziehung fortzusetzen. Dennoch spielte sich nach ihrer Amnestierung 1953 die alte Beziehung wieder ein, 1954 wurde sie erneut schwanger und erlitt wieder eine Fehlgeburt. Nachdem Pasternak sie in die Technik der literarischen Übertragung nach Interlinearübersetzungen eingeführt hatte, arbeiteten sie oft gemeinsam an Übersetzungen. Vor allem aber war Olga seine „rechte Hand”, seine Privatsekretärin und Literaturagentin. Seine Frau „Sinaida organisierte die Bedingungen für das Schreiben, lieferte den Rahmen für seine Gastfreundschaft, kümmerte sich um die Familie, nahm ihm alle lebenspraktischen Dinge ab - ganz die Gattin des großen Schriftstellers ... Bei der Fachfrau Olga Iwinskaja hingegen waren alle Angelegenheiten, die mit Publikation und überhaupt mit dem Werk zu tun hatten, in besten Händen”, resümiert György Dalos.

Als Chruschtschow im April 1956 auf dem XX. Parteitag seine berühmte Geheimrede hielt, von der man in der Sowjetunion nur durch westliche Sender erfuhr, war Doktor Schiwago gerade abgeschlossen. Der 66jährige Pasternak, der bereits den ersten Herzinfarkt hinter sich hatte und sich keine Illusionen über die sowjetische Kulturpolitik machte, wünschte die Veröffentlichung des Romans noch zu seinen Lebzeiten. Er übergab deshalb das Manuskript einem italienischen Journalisten, der es nach Italien schmuggeln sollte. Sowohl Pasternaks Ehefrau als auch Olga, die eine erneute Verhaftung fürchtete, waren von diesem Deal entsetzt. Nach heftigen Vorhaltungen Olgas erlaubte ihr Pasternak, das Manuskript von dem Journalisten zurückzufordern - was natürlich vergeblich war - und die Möglichkeiten einer Edition in der Sowjetunion zu sondieren. Der Leiter des Staatsverlages verstand den Roman aber als antisowjetisch, und die Parteistellen versuchten alles, um dessen Veröffentlichung im Westen zu verhindern. Als der italienische KP-Chef Togliatti den Verleger Feltrinelli aufforderte, von der Drucklegung des Romans abzusehen, trat dieser aus der Partei aus. Doktor Schiwago erschien in Italien 1957, in der Bundesrepublik 1958, in den USA auf russisch 1959, er wurde ein Welterfolg. Pasternaks großartige Darstellung des Schicksals der russischen Intelligenz in Oktoberrevolution und Bürgerkrieg trug ihm 1958 den Nobelpreis ein. Das bedeutete auch, daß der Roman in den Grabenkämpfen des Kalten Krieges mißbraucht wurde. „Mir war klar, daß man ihm (Pasternak, D. K.) keine Gnade gewähren wird, daß man ihm eine staatsbürgerliche Hinrichtung zuteil werden läßt, daß man ihn zu Tode trampelt wie seinerzeit Soschtschenko, Mandelstam, Sobolotzki ...”, erinnert sich der Schriftsteller Tschukowski an die sensationelle Nachricht des 23. Oktober 1958. Die Verleihung des Nobelpreises rief bei den Freunden Pasternaks gleichzeitig Euphorie und Angst hervor. Nur Pasternak selbst telegraphierte nach Stockholm: „Unendlich dankbar, bewegt, stolz, überrascht, verwirrt”. Noch am gleichen Tag drang sein Kollege Fedin im Auftrag des ZK in Pasternak, den Preis abzulehnen, wozu dieser aber nicht bereit war. Die Partei beschloß daraufhin eine Rufmordkampagne gegen den Dichter. Die „Literaturnaja Gazeta” brachte eine zweiseitige Schimpfkanonade gegen ihn, die Studenten des Moskauer Literaturinstituts forderten mit der Losung „Judas raus aus der Sowjetunion” seine Ausbürgerung, der Allunions-Schriftstellerverband schloß Pasternak, der inzwischen bereit war, sein Preisgeld dem Friedensrat zu stiften, aus dem Verband aus. Am 28.Oktober verzichtete Pasternak schließlich auf den Nobelpreis. Sorgen um seine Söhne und den möglichen Verlust der Datsche, aber auch eine Auseinandersetzung mit Olga, die keine Arbeitsaufträge mehr bekam, bestimmten ihn dazu. Er telegraphierte nach Stockholm: „Mit Rücksicht auf die Bedeutung, die in der Gesellschaft, der ich angehöre, dieser Auszeichnung beigemessen wird, muß ich auf den mir zugedachten unverdienten Preis verzichten. Ich bitte Sie, meinen freiwilligen Verzicht nicht für eine Unhöflichkeit zu halten.” Am Nachmittag des gleichen Tages war Pasternak entschlossen, sich mit Olga zusammen das Leben zu nehmen. Olga versuchte, ihn zunächst hinzuhalten. Während sie sich noch Rat suchend an das ZK wandte, hielt der Vorsitzende des Komsomol im Fernsehen die berüchtigte „Schweinerede”, in der er Pasternak mit Schweinen verglich und seine Ausbürgerung forderte. Pasternak griff daraufhin die Möglichkeit eines Exils auf und besprach sich mit seiner Familie. Sinaida riet ihm zur Ausreise, allerdings unter Verzicht auf sie und die Kinder. Olga, mit der Pasternak am Nachmittag sprach, sah sich bei einer gemeinsamen Ausreise am Ziel ihrer Wünsche. Doch der Dichter, der mutig genug war, sein Manuskript ins Ausland zu schmuggeln, wagte diesen zweiten Schritt nicht. Ein entsprechender Brief wurde wieder vernichtet. Daraufhin fiel Olga erneut die Aufgabe zu, bei den Parteistellen ein Einlenken zu erreichen. Leute des KGB legten ihr nahe, Pasternak solle einen Bittbrief an Chruschtschow schreiben. Am gleichen Tag forderte der Moskauer Schriftstellerverband ebenfalls seine Ausbürgerung: „Kein anständiger Mensch, kein Schriftsteller, niemand, dem das Ideal des Fortschritts und des Friedens teuer ist, wird ihm, der die Heimat und das Volk verraten hat, die Hand reichen”, formulierten die „Kollegen”. Am 31. Oktober schließlich teilte man Pasternak und Olga Iwinskaja in Moskau mit, Chruschtschow sehe von einer Ausbürgerung ab. Er verlange aber, daß Pasternak in einem Brief an das sowjetische Volk öffentlich Abbitte leiste. Auch die endgültige Formulierung dieses Briefes, in dem sich der Dichter von seinem Roman und der Nobelpreisverleihung distanzierte, überließ er Olga und dem Kulturreferenten des ZK.

Im Januar 1959 hegte Olga berechtigte Hoffnungen, Pasternak werde sich von Sinaida scheiden lassen und mit ihr zusammenziehen. Als Pasternak jedoch im letzten Augenblick einen Rückzieher machte, drohte sie, ihn zu verlassen. Daraufhin schrieb Pasternak sein Gedicht „Nobelpreis”, in dem er seine Ausweglosigkeit und Verzweiflung zu erkennen gab, und lancierte es an eine britische Zeitung. In einer nicht veröffentlichten Variante ist das Gedicht auch eine Liebeserklärung an Olga. Wieder schritt die Staatsmacht ein, Pasternak mußte sich vor dem Obersten Staatsanwalt verantworten, Olga wurde in die Lubjanka zitiert. Aus Angst vor einer möglichen Verhaftung und vermutlich auch in dem schmeichelhaften Gefühl, Pasternak beeinflussen zu können, ließ sie sich immer wieder von der Partei als Vermittlerin gebrauchen.

Sinaida hielt in der Folgezeit - gemäß den Auflagen der staatlichen Stellen - Pasternaks Haus für Ausländer verschlossen, während in Olgas Wohnung westliche Gäste ein und aus gingen. Gerd Ruge, Heinz Schewe, der französische Student Georges Nivat und andere führten- was ein ZK-Vertreter Olga einmal als Lösung des Problems nahegelegt hatte - illegal größere Summen aus Pasternaks Honoraren ein, die Olga in Empfang nahm. Pasternak beschenkte sie und Sinaida großzügig damit. Bis Mai 1960 wurden so vermutlich 360 000 Rubel transferiert. Im April 1960, als Pasternak bereits todkrank war und sich um Olgas Zukunft Sorgen machte, setzte er sie als Erbin seiner Tantiemen ein - eine Verfügung, die vermutlich auf Geheiß des KGB verlorenging. Während der letzten zweimonatigen Krankheit Pasternaks war Olga, die sein Haus nie betreten durfte, isoliert. Als der Dichter am 30. Mai 1960 an Lungenkrebs starb, konnte sie sich erst bei der Beerdigung von ihm verabschieden. Nur wenige seiner Freunde kondolierten ihr.

Im August 1960 - ein halbes Jahr vor der bereits angekündigten Währungsreform in der Sowjetunion - schickte ein italienischer Verleger durch Mittelsmänner, die mit dem KGB in Verbindung standen, Olga 500 000 Rubel. Am 16. August wurde sie verhaftet und wegen Schmuggels angeklagt, etwas später ihre Tochter Irina. Olga wurde zu acht Jahren, Irina zu vier Jahren Zwangsarbeit verurteilt, die sie bis 1964 - die Tochter bis 1962 - abbüßten. Als Hemingway, Moravia und andere bekannte Schriftsteller des Auslands gegen das Urteil protestierten, ließ Chruschtschow die Angelegenheit durch seinen Schwiegersohn Adschubej herunterspielen und Olga charakterlich verleumden. Da Olga eine wenig bekannte, vorbestrafte und nicht rehabilitierte Frau war, die zudem als Geliebte Pasternaks moralisch anfechtbar erschien, sahen die Gegner des XX. Parteitages im Machtapparat und unter den Schriftstellern in ihr ein ideales Opfer. Olga Iwinskaja wurde erst 1988 rehabilitiert, im gleichen Jahr, als auch Doktor Schiwago in der Sowjetunion erscheinen durfte. Sie starb 1995. In ihrem Nachruf schrieb die „Iswestija” den leider wahren Satz: „Es ist nicht leicht, in Rußland die Muse eines Dichters zu sein.”

Im Buch fallen einige Flüchtigkeiten auf, so ist die Schreibweise mancher Wörter unterschiedlich, und die Zeitangaben im Anhang stimmen mit dem Text nicht immer überein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite