Rezension von Horst Wagner



Mehr als eine Verteidigungsschrift

Daniela Dahn: In guter Verfassung
Wieviel Kritik braucht die Demokratie.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck 1999, 173 S.

Die einen feiern Daniela Dahn als „Jeane d'Arc des Ostens". Andere, wie der ehemalige Ständige Vertreter der BRD in der DDR, Klaus Bölling, verurteilen sie als „Katalysator demokratiefeindlicher Stimmungen”. Über fehlende Beachtung ihrer Person und mangelnde Auseinandersetzung über ihre Bücher kann sich die inzwischen 50jährige Berliner Publizistin, die Mitbegründerin der DDR-Bürgerrechtsbewegung „Demokratischer Aufbruch” war, heute stellvertretende Vorsitzende des Willy-Brandt-Kreises der SPD ist und unlängst von der PDS in Brandenburg als Verfassungsrichterin vorgeschlagen wurde, wahrlich nicht beklagen. Mehr noch: Mit ihrem 1994 erschienenen Buch Wir bleiben hier oder Wem gehört der Osten?, für das der damalige Rowohlt-Verleger und heutige Staatsminister für Kultur Michael Naumann die Anregung gegeben haben soll, und den nachfolgenden Westwärts und nicht vergessen (1996) sowie Vertreibung ins Paradies (1998) hat sie sich in die Reihen der ostdeutschen Bestsellerautoren hineingeschrieben.

Schon deshalb war man gespannt auf ihr neues Buch, dessen Titel Daniela Dahn so erläutert: „Wir sind nicht in guter Verfassung, obwohl wir eine gute Verfassung haben.” Und führt dazu an anderer Stelle aus: „Eine Verfassung enthält Grundrechte, die den einzelnen gegenüber dem Staat schützen. Dagegen kann kein einzelner etwas haben. Aber der Staat dreht den Spieß gern um, indem er so tut, als sei die von ihm geschaffene Verfassungswirklichkeit die Verfassung selbst, die wiederum vor den Bürgern zu schützen wäre. Der Begriff des Verfassungsfeindes ist nichts als eine ideologische Disziplinierungskeule.” Diese Keule bekam bekanntlich auch Daniela Dahn selbst zu spüren, als Stellen aus ihrem Buch Vertreibung ins Paradies dazu genutzt wurden, „Zweifel” an ihrer Verfassungstreue zu äußern, was schließlich Ende 1998 zu ihrer Ablehnung als brandenburgische Verfassungsrichterin führte. (Der Vorgang wird im Dokumentenanhang des Buches ausführlich abgehandelt.) In guter Verfassung ist wohl auch als Auseinandersetzung mit diesen Angriffen zu verstehen. Nachdrücklich verteidigt sie in diesem Buch ihre 1998 geäußerte Kritik am Urteil gegen die heute 81jährige Waldheim-Richterin Irmgard Jendretzki und führt neue Fakten an, die sie zu dem Schluß bringen: „Selbst der verdammenswerte Umstand, daß sich die SED massiv eingemischt hat und die Urteile praktisch schon vor der Verhandlung feststanden, ist kein hinreichender Beweis dafür, daß sie inhaltlich allesamt falsch waren.” Sie basierten vielmehr auf damals gültigem alliierten Recht, das natürlich auch in den Westzonen praktiziert wurde. „Die juristische Abrechnung mit der Nazi-Barbarei war und ist ein so einmaliger Vorgang, daß Fehler unvermeidlich waren ... Der größte Fehler wäre aber gewesen, nichts zu tun. Insofern hat die bundesdeutsche Justiz nicht die moralische Kompetenz, über Leute zu richten, die das versuchten, was sie selbst versäumte.”

Ausführlich erläutert Daniela Dahn auch einen anderen 1998 in Vertreibung ins Paradies niedergeschriebenen Satz, der zum zweiten Hauptpunkt der Angriffe gegen sie wurde: „Mit Blick auf die von mir erlebte poststalinistische DDR und die finanzstalinistische BRD scheint mir: Die Summe der Repressionen ist immer gleich.” Sie erklärt, daß der Begriff finanzstalinistisch nicht von ihr, sondern von ihrem „Westkollegen” Robert Kurz stammt. Sie räumt ein, daß „der Spielraum für Widerspruch und Nonkonformismus nach dem Ende der DDR erheblich größer geworden” ist, weist aber auch anhand vieler Beispiele nach, daß das, was in der DDR poststalinistische Repression besorgte (Einschüchterung, Verunsicherung, Angst vor öffentlicher Rede), heute durch den Druck des Geldes geschieht. „Konnte man sich früher noch als Märtyrer empfinden”, bliebe heute für viele Ostdeutsche nur, „sich als selbstverschuldete Versager zu fühlen”. Gründlich setzt sich die Autorin mit der „öffentlichen Demontage von Personen”, mit dem „Rufmord- und Hinrichtungsjournalismus” auseinander, die in den Medien immer zahlreichere Blüten treiben. „Die Unsitte, Äußerungen aus dem Zusammenhang zu reißen und einen ganzen Menschen auf einen halben Satz zu reduzieren, hat nicht nur Stalin gut beherrscht.” Dahn regt die Bildung einer „schnell reagierenden ehrenamtlichen Schiedskommission” (gestellt möglicherweise von der IG Medien, Anwälten, Journalistikdozenten) an, die einen Journalisten, der seine Behauptungen nicht belegen kann, zur Berichtigung und zu sofortiger Zahlung von Schadenersatz verurteilen sollte.

Natürlich geht Daniela Dahn in ihrem neuen Buch auch mit der BRD-Teilnahme am Kosovo-Krieg ins Gericht. Sie frage sich, „wie die Befürworter des Bombenterrors den Begriff Menschenrechte überhaupt noch über die Lippen bringen. Angesichts ungezählter ziviler Opfer gerade auch unter den Kosovo-Albanern. Angesichts Tausender uranhaltiger Geschosse auf dichtbesiedelte Gebiete. Angesichts der den ganzen Balkan bedrohenden Chemiekatastrophe, die durch die mehrfache Bombardierung der nördlich von Belgrad gelegenen Petrochemischen Werke ausgelöst wurde.” Dem Vorwurf, fast so etwas wie ein Verfassungsfeind zu sein, setzt die Autorin ihr ausdrückliches Bekenntnis zum Grundgesetz entgegen und erläutert ihre im Dezember 1998 in einem Interview mit der Berliner Wochenzeitung „Freitag” geäußerte Meinung, dieses Grundgesetz sei „für den demokratischen Sozialismus, der mir vorschwebt, bestens geeignet”. Gleichzeitig gibt sie zu bedenken: „Je reicher einer ist, desto mehr wird einer begünstigt. Dieser Anspruch ist im Kapitalismus verrechtlicht. Doch ist, was verrechtlicht ist, auch gerecht?”

Da es Daniela Dahn auch immer um solche Grundfragen geht, ist ihr neues Buch mehr als eine Verteidigungsschrift gegen (nicht nur in ihren Augen) ungerechtfertigte Angriffe. Natürlich wird es neben begeisterter Zustimmung auch auf Einwände und Widerspruch stoßen. Großes Interesse dürfte ihm auf jeden Fall sicher sein, und einer gründlichen Beschäftigung ist es wert. Sie wird durch Dahns Fähigkeit, komplizierte Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen, erleichtert und durch ihre geschliffene Sprache zum Lesevergnügen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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