Rezension von Hans-Rainer John



Der Geheimdienst hat den Premier ermordet

Michael Mueller: Belfast Blues
Roman.
Rowohlt.Berlin Verlag, Berlin 1999, 528 S.

Belfast Blues - das erinnerte mich an Belfaster Auferstehung, vor drei Jahren im Rotbuch Verlag erschienen. Die Gedankenverbindung war aber irrig - beide Bücher verbindet nichts anderes, als daß sie Erstlingswerke sind. Eoin McNamee erwies sich sofort als Poet und eröffnete mit seinem bewegenden Buch einen tiefen Einblick in die furchtbaren, lang anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland. Michael Mueller (34) dagegen ist Journalist, der aus Krisengebieten wie Bosnien, Nordirland und Ruanda berichtet hat, mit seinem Roman aber einen Geheimdienstkrimi vorlegt. Irland ist da nur Folie und Belfast Blues der Codename für ein besonders perfides Unternehmen. Es geht um Vergangenheitsbewältigung und Staatskrise, Attentat und internationale Verwicklungen, Intrigen in den „Diensten” und alte Freunde in Gefahr.

Nun wissen wir ja inzwischen, daß die Geheimdienste auch der als demokratisch legitimierten Staaten nicht den ganzen Tag mit dem Gesetz unter dem Arm herumlaufen, daß die parlamentarische Kontrolle eine fromme Lüge ist, daß Täuschen, Tarnen, Töten zum Handwerk gehören. Eben diskutiert die Öffentlichkeit Israels, ob die Folter weiterhin rechtens ist, wenn es dem Mossad darum geht, Geständnisse aus mutmaßlichen Terroristen herauszupressen, und eine (auch bei Mueller kolportierte) Fama vermeldet, beim FBI habe man eine Gruppe Kollegen, deren Aufgabe es ist, alte Freunde und neue Feinde auf vielfältige Art und Weise wieder in Kontakt zu ihrem jeweiligen Schöpfer zu bringen, mit typisch amerikanischem Humor „Komitee zur Veränderung des Gesundheitszustands” benannt.

Schön und gut. Was uns Mueller in seinem Krimi dann aber zumutet, ist doch recht starker Tobak. Da ist der Geheimdienstchef Ihrer britischen Majestät, der schon als kleiner Leutnant katholische Iren im Internierungslager brutal gefoltert hat, selbst der große Bösewicht: Intrigant, Karrierist und Henker. O'Grady wird als ein abgezockter Spieler vorgestellt, als ein Drogendealer und Waffenhändler (der sogar den Gegner, die IRA, mit Waffen aufrüstet, wenn er daran verdienen kann). Er glaubt an nichts (als an sein Bankkonto), und nichts ist ihm wichtiger als ein Ministersessel.

Deshalb beauftragt er Raymond Lanston, seinen fähigsten Agenten, zuerst den Premierminister (bei einem Routinebesuch in Belfast, da kann man die Sache der IRA in die Schuhe schieben) und dann den Außenminister (bei einem EU-Gipfeltreffen in Berlin) ins Jenseits zu befördern. Und Raymond bedient sich einer „zwielichtigen Gruppe ehemaliger Stasi- und NVA-Offiziere, die von einer Zukunft im internationalen Geschäft der Dienste, Agenten, Söldner und Terroristen träumen - alte Seilschaften (auch nach zehn Jahren), die immer noch vorzüglich funktionieren im Sinne aller, die Übles wollen.” Das Motto heißt: „Schluß mit dem Friedensprozeß”, der Innenminister (offenbar ein Hardliner) wird Premier, und O'Grady, der seine Puppen tanzen läßt (keiner ahnt Böses, keiner kann ihm was nachweisen), strebt ins Kabinett.

Der Anschlag in Belfast zumindest gelingt, und Jonathan Cline, der stellvertretende Sicherheitschef des Premiers, wird beauftragt, ihn an Ort und Stelle aufzuklären. Es ist naheliegend, daß O'Grady tut, was in seinen Kräften steht, ihm den Weg zu verlegen. Nun geht es nicht mehr um den Feind der demokratischen Ordnung, sondern um die Feindschaft der „Dienste”, die einander auszustechen und lahmzulegen suchen, und es geht um Leben und Tod. Am Ende sind die IRA-Funktionäre (umgängliche Leute bei Mueller, die alle Sympathie auf sich vereinen) die einzigen, auf die sich der Sonderermittler Ihrer Majestät stützen kann. Als er einen Teilerfolg erringt, dreht O'Grady durch. Er läßt Raymond fallen, um ihn als irren Einzeltäter und Fanatiker hinstellen zu können. Der Außenminister bleibt in Berlin unbeschädigt, Raymonds Rache an O'Grady freilich mißlingt, und dessen Entlarvung ist dann schon fast Zufall, mit dem keiner mehr gerechnet hat.

Jonathan und Raymond sind übrigens Jugendfreunde, die sich unter dem Eindruck eines blutigen Attentats der IRA, das ihrem gemeinsamen katholischen Freund Sean ein Bein zerfetzt hat, einst vorgenommen hatten, ihr Leben dem Kampf gegen den Terrorismus zu widmen. (Diese Geschichte wird parallel zu den ersten Kapiteln erzählt, leider ein bißchen sentimental und im Stil eines Jugendbuches.) Aber was ist aus ihnen geworden? Jonathan ist das Motiv für seine Arbeit verlorengegangen - es kann weder das Königreich sein, denn er ist Ire, noch der Rechtsstaat. („Er war zu lange dabei, um daran noch zu glauben.”) Am Ende quittiert er den Dienst. Raymond war sich offenbar nie recht sicher, auf der richtigen Seite zu stehen. Er hat alles skrupelloser gesehen und das „Geschäft” - fasziniert von den Machtspielen im Hintergrund - für seine Art von Karriere genutzt, zum Überleben hat es am Ende nicht gereicht. Und Sean? Der ist zum eiskalten Doppelagenten geworden, ein Zyniker und Menschenfeind, der Rache nimmt für den Verlust seines Beines und in geistiger Umnachtung endet.

Ein bißchen deprimierend ist das Ganze schon, der Autor zieht die Helden resignierend aus der Geschichte zurück - für den Leser kein Ansporn fürwahr, sich für Recht und Ordnung zu schlagen, eine Warnung für die Herrschenden höchstens, ihren Gorillas zu mißtrauen. Natürlich durchziehen auch starke Spannungsmomente das Buch, natürlich zieht es Gewinn aus den persönlichen Erfahrungen, Erlebnissen, Anschauungen des Autors in Form realistischer Details. Aber es fällt doch schwer, Motivationen wie die von O'Grady oder Raymond nachzuvollziehen. Jonathan dagegen erscheint für seinen Job fast zu romantisch, verträumt, gedankenverloren, unentschlossen, grüblerisch, und daß er als Chefermittler mit Sondervollmachten der Regierung überhaupt kein Hinterland hat, sozusagen mit bloßen Händen allein im Feindesland steht, leuchtet schwerlich ein. Sein einziger Mitstreiter, James McGovern, ist eine fast verschenkte Figur - stets wird er nur in Wartehaltung belassen, dient dem Autor höchstens als Anlaufpunkt, die eigenen Gedanken zu formulieren, der innere Konflikt (er hat von London den Auftrag, Jonathan zu überwachen) bleibt ungestaltet.

Nicht alle Handlungsdetails erscheinen logisch. Warum wirbelt die Auffindung der Leiche Landowskis soviel Staub auf, was zieht Jonathan immer wieder nach Deutschland, warum liefert er sich am Ende dem Gegner (Lombard) aus? Das sind einige der Fragen, auf die sich schwer Antworten finden lassen. Auch ist der Autor nicht ohne Klischees ausgekommen. Dazu gehört sowohl die Stasi-Connection als auch die Architekturkritik. Natürlich wird die „Gigantomanie der Plattenbauwüste Marzahn” gegeißelt, ergänzt (ein Westausgleich!) mit der Formulierung des Abscheus vor der Architektur des Ernst-Reuter-Platzes. Und wenn der Autor eine schäbige Kneipe sucht, findet er sie an der Volksbühne, und die dürftige Absteige natürlich in Pankow, wo angeblich noch immer „der Charme von Plansoll und Arbeiterfreundschaft” wuchert, „obwohl der Sozialismus seit zehn Jahren abgeschafft ist”. Auch hinsichtlich der Topographie der Tatorte ist der Autor nicht immer präzis (da plant ein Täter als Fluchtweg „den Ostbahnhof oder besser noch eine S-Bahn-Station”). Leider ist auch der sprachliche Ausdruck nicht immer korrekt. (Ein typisches Beispiel: „In der anderen Hand fehlte statt der Pistole nur das Cocktailglas.”)

Aller Anfang ist natürlich schwer, aber bis zur Klasse von Geheimdienst-Autoren wie Murray Smith, Frederick Forsyth oder John le Carré ist noch eine tüchtige Wegstrecke zu bewältigen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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