Rezension von Bernd Heimberger



Gegebenes Glück

Joachim Helfer: Du Idiot
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999, 286 S.  

Auf dem Ramschtisch der Bestseller-Bücher ist Joachim Helfers Debüt-Roman Du Idiot nicht gelandet. Also wurde Helfers Buch nicht, wie üblich, in der folgenden Saison als Taschenbuch verheizt. Fünf Jahre nach dem Erstauftritt ist Du Idiot nun im Taschenbuchformat da. Ein Jahr nach dem zweiten Roman des Schriftstellers, Cohn & König. Um Königs Zukunft muß sich der Verlag wohl auch künftig nicht sorgen. Helfer kümmert sich um König, Florian. Er ist einer der auffälligsten Unauffälligen, der in den Neunzigern in der deutschen Literatur auftauchte. Ein Verdroschener, Verführter, Verführer, Verliebter, der leicht zu lieben ist. Auch Florian, das ungeschützte Kind, der ungeschützte Junge, ist ein Idiot wie sein Freund, wie wir alle. Helfer erzählt von der Schutzlosigkeit von Jugendlichen, die sich nach Schutz sehnen, den sie sich selbst nicht geben können.

Was der 1991 gestorbene, fast gleichaltrige Ronald Schernikau in Kleinstadtnovelle in der Stunde des Erlebens erzählte, erzählt Joachim Helfer aus dem Abstand der Jahre. Beide Autoren haben die Geschichte der Generation geschrieben, die in den Endsiebzigern, Anfangachtzigern erwachsen wurde. Im breiten, düsteren Schatten von achtundsechzig. Im bundesrepublikanischen Kleinbürgerkiez. In einem Milieu, in dem es gar nicht zum besten stand im Wohlstandsland. Die persönlichen Generations-Geschichten der Erzähler, die in sinnlich-sinnreichen Szenen vom privaten wie politischen Coming-out ihrer Hauptpersonen berichten, sind der Wirklichkeit der Bundesrepublik näher als viele Analysen der Soziologen zur unauffälligen, unpolitischen Generation.

Helfer hat sich bevorteilt, indem er seine Jugend-Abi-Zeit aus der Entfernung ansah. Was heißt, daß seine Welt weit, viel weiter geworden ist. Auch durch Lektüre von Proust bis Faulkner. Inspiriert durch Erlebtes und Erlesenes, kann sich Joachim Helfer erfolgreich auf die Suche nach der gewesenen Zeit des Florian König machen. Satz für Satz, Seite für Seite treibt der ehrgeizige Sprachbildner seine Spurensuche mit Spaß voran. Helfer hat mehr Möglichkeiten, seine Virtuosität als Schreibender zu beweisen, als der Jugendliche Schernikau. Daß manche Kritiker sofort von einem manieristischen Stil sprachen, erstaunt nicht. Helfers Manier, die nicht aufhörenden schön surrenden Sätze aneinanderzureihen, muß man mögen - und kann es auch bleibenlassen. Wie man Proust oder Faulkner mag oder nicht und doch neidlos anerkennen muß: Das ist Literatur. Wer lesen kann, also die Lust am langsamen Lesen hat, dem ist Du Idiot zu empfehlen. Wer Du Idiot lieben lernt, wird unweigerlich bei Cohn & König ankommen und sicher keinen Schaden nehmen. Joachim Helfer kann das Glück geben, das zu haben ist, wenn man den Sinn dafür hat, daß es ein Glück ist, daß es Bücher gibt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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