Rezension von Burga Kalinowski



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Schutz für das ungeliebte Symbol

 

Polly Feversham/Leo Schmidt:
Die Berliner Mauer heute

Verlag Bauwesen, Berlin 1999, 192 S.

 

 


 

Mein bespraytes Stück Beton stammt von einem Mauer-Müllplatz, auf dem Mauerteile zerschlagen und verschreddert wurden. Insgesamt 5oo ooo Tonnen in Gestalt 2,5 Tonnen schwerer Klötze, je 3,60 hoch, 1,20 breit, gingen den Recycling-Weg. Der Rest fand Käufer wie den japanischen Konzern, der 185 000 Dollar für ein Segment hinblätterte, ein anderes Gebot belief sich auf 500 000 Dollar. Tausende Touristen stürzen sich noch heute auf „ganz echte” Teile, bei klugen Händlern immer im Angebot. Wer in die Hauptstadt kommt, will irgendwie irgendwas von der Berlin-Attraktion haben, aber zu sehen ist von dem schlechten Stück so gut wie nichts mehr.

Wo war die Mauer? 155 km lang, umzingelte und zerschnitt sie Berlin, war tödliches Hindernis, trügerische Absperrgarantie, Grenzlinie zwischen zwei Welten - am Ende ein Sesam-öffne-Dich. Nun ist sie weg.

Gut getimt zum 10. Jahrestag des Mauerfalls kam ein Buch über Denkmalwert und Umgang mit dem ungeliebten Symbol auf den Markt: „Die Berliner Mauer heute”, in Englisch und Deutsch, damit den internationalen und nationalen Rang der Mauer als Denkmal betonend. Die Nicht-Berliner Polly Feversham, Philosophin und Kunsthistorikerin aus Yorkshire, und Prof. Dr. Leo Schmidt, Archäologe, Kunstgeschichtler und Historiker aus Baden-Württemberg, betrachten neugierig-unbefangen und wissenschaftlich ungerührt die Bauwerkreste aus denkmalpflegerischer Sicht. Das Ergebnis ist eine übersichtlich gestaltete und überaus sachliche Publikation, die sich der Ambivalenz des Erinnerns und Gedenkens in diesem zeitgeschichtlich einmaligen Fall nicht verschließt und von daher überzeugend für das Denkmal Mauer plädiert. Eine Position, die moralische Empörung und politischen Unwillen geradezu herausfordert, wie bei der Buchvorstellung denn auch geschehen. Dagegen setzen die Autoren Überlegungen zum Wesen ihrer Arbeit: „Der Gedanke der Pflege von historischen Bauten und Objekten impliziert einen hohen Stellenwert der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die Erinnerung ist einer der Wege, über die wir die Vergangenheit kennen. Sich ihrer bewußt zu sein, gehört wohl zu den Voraussetzungen des Faches Baudenkmalpflege; tatsächlich könnte man sogar sagen, daß die Aufgabe des Denkmalpflegers darin besteht, die Erinnerung vor dem Vergessen in Schutz zu nehmen.” Die wenigen, inzwischen unter Schutz stehenden Mauerreste fungieren nun als materielle Träger von Erinnerung. Erinnerung daran, wie und warum der Betonwall entstanden und warum er zerfallen ist. Mit und zwischen diesen zeitgeschichtlichen Zäsuren erschließt sich die Komplexität der Wahrnehmung, werden unterschiedliche Positionen und Situationen der Verdrängung entzogen. Ein Kapitel ist diesem Bereich gewidmet: Leben im Grenzgebiet, die Flüchtlinge und die Toten, der Zwiespalt der Wahrnehmung zwischen Ost und West. Da ist auf beiden Seiten durchaus Nostalgisches festzustellen, „ein Gefühlszustand, der sich nicht wirklich auf die Vergangenheit bezieht, sondern auf etwas, was in der Gegenwart vermißt wird”. Natürlich unterscheidet sich das von Ost nach West erheblich, die Gemeinsamkeit liegt allein im Umstand, daß sich Lebenswelt unwiderruflich verändert hat. Die verschwundene Mauer ist das Symbol. Leider, so die fachliche Sicht, ein gefährdetes Symbol, nur noch als Fragment und Ruine vorhanden. Ein Zustand, dem kaum noch abzuhelfen ist - beklagenswert für waschechte Denkmalpfleger. In situ (die Ursituation) verliert sich im Gewusel städtischer Umgestaltung, besonders in den lukrativen Lagen. Die Autoren konstatieren, daß „die Berliner Mauer heute zur sogenannten Schattenarchitektur (gehört): Bauwerke, die physisch verschwunden sind, aber durch das Bewußtsein, daß sie existiert haben, als ungreifbare Präsenz erhalten geblieben sind”. Die nun wird im Buch beschrieben, durch Karten, Skizzen und zahlreiche Fotos sichtbar - eine Chronik der Mauer. Die Biographie des Bauwerkes verläuft in Phasen, allgemein als vier Generationen bezeichnet. Die Autoren hinterfragen das Vier-Generationen-Schema und ergänzen es mit Belegen für improvisierte und differenzierte Entwicklungen in der baulichen Erscheinung der Mauer. Diese Beispiele geben Hinweise auf die Stellung des „Schutzwalls” im Polit- und Wirtschaftsgefüge der DDR. Das geht bis in Details, wie die Beschreibung der baulichen Anordnung von Pfeilern, Balken, Blöcken, die Identifizierung verwendeten Materials als Halbfertigteile aus dem Wohnungsbau, die Brauchbarkeitstests verschiedener Elemente bis hin zu Versuchen, in denen „sportlich trainierte Personen” mit allen Mitteln den Mauerdurchbruch zu proben hatten (einschließlich Sprengstoffattacken). Vorgestellt werden geheime Planungen für eine fünfte Generation, die die Modernisierung der Mauer ab 1996 mit High-Tech ausweisen, von der mancher Betrieb, manche Institution nicht mal träumen konnte. Diese und weitere Informationen, die sachliche Einordnung in den zeitgeschichtlichen Kontext, die Darstellung der Mauer als Gegenstand künstlerischer Aktionen vermitteln anschaulich den Anspruch der Autoren, daß gerade das unbequeme Denkmal Fürsprecher und den Schutz der Denkmalpflege braucht. Aufwendiges Aktenstudium und persönliche Spurensuche erbrachten eine genau dokumentierte Auflistung der noch vorhandenen Stücke. Interessant und hilfreich dabei die Ausführungen zur Hinterlandmauer und ihre unvermuteten Fundorte wie am Reichstag. Kaum erkennbar als „die Mauer”, ist es dennoch ein Stück davon - wenigstens die Touristen wird's gruselnd freuen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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