Rezension von Volker Strebel



Mit Schwänen im Kanonenfeuer
 
Sándor Csoóri: Feuerschatten
Aus dem Ungarischen von Maria Csollány.
Mit einem Nachwort von György Dalos.
Wespennest Edition, Wien 1999, 79 S.  

Es sind Verse ohne Pathos und doch von ungeheurer Wucht. Ein eigentümlicher Reiz liegt in dem organischen Ineinander von Naturelementen und Motiven aus der Zivilisation. In dem Herbstgedicht „Mit gesenktem Kopf” heißt es unter anderem: „doch jetzt stehst du nur/ auf dem verdorrten, lauwarmen Rasen herum; / dein Warten ist leer wie das zerquetschte Schwalbennest: / auch der Herbst gehört schon dem Heer! / Seine Panzer zerschmettern / die große Bläue voller Herbstfäden / wie Einbrecher die Glastür mit einem Beil.”

Csoóris Gedichte sind geprägt von unerwarteten Brüchen und Wendungen, doch wirken diese niemals konstruiert oder künstlich aufgesetzt, sondern sind in die Verse auf eine Weise eingebettet, wie es auch einem gelebten Leben entspricht.

Die vorliegende Sammlung Feuerschatten erlaubt dem deutschen Leser zum erstenmal einen umfangreicheren Einblick in die Lyrik von Sándor Csoóri, die in seiner Heimat seit Jahrzehnten hoch geschätzt wird. Es ist eine Zusammenstellung aus fünf Sammlungen, welche die Jahre von 1982 bis 1996 umfassen.

In Ungarn hatte es Sándor Csoóri nicht immer leicht gehabt. Zum einen hatte er versucht, innerhalb des vorgegebenen kulturpolitischen Rahmens seinen Weg zu gehen, und war doch andererseits nicht bereit, seine Sicht auf die Wirklichkeit korrumpieren zu lassen. Es war ein Versuch, mit den bedrückenden politischen Umständen zurechtzukommen, der demjenigen seines Freundes und Dichtervorbildes László Nagy ähnelte.

In seinem Nachwort zu dieser Sammlung schreibt György Dalos unter anderem über seinen Schriftstellerkollegen: „Als Dichter verfolgte Sándor Csoóri jedoch eine einzige Linie: diejenige der freien poetischen Subjektivität.”

Csoóri greift mit der Beherztheit eines freien Charakters in den Setzkasten einer bunten Wirklichkeit, die sich vor ihm auftut, um daraus anschließend in seinen Versen ein neues Leben entstehen zu lassen. Damit läßt er ein bloßes Abbilden weit hinter sich. Sándor Csoóri baut ein Reich aus Versen, die zu leben beginnen, sobald Leser sich in diese magischen Labyrinthe hineinwagen. Die „Elegie des Landstreichers” endet mit den Versen: „Einst konnte ich glauben: vor meinen Augen schwingt / eine große Schaukel mit Bienen, Städten, Holunderblüten auf und ab, / und das blitzende Antlitz im Fenster des Himmels sei das meine. / Von dem, was gut war, war das Beste die verächtliche Einbildung: / gleich einem Gott am Wegrand zu sitzen in Schlamm und Blättergeruch.” Die Requisiten von Csoóris Versen sind dem Leser aus seiner eigenen Erfahrung vertraut, jedoch vermögen diese Gedichte, eigene Welten in der unmittelbaren Welt zu errichten. Ein merkwürdiges Hin-und-her-gerissen-Sein zwischen Nähe und Distanz ermöglicht den Lesern, den neugewonnenen freien Raum nicht nur wahrzunehmen, sondern auch für sich zu besetzen. Im Gedicht „Erschöpfung am Ende des Sommers” schreibt Csoóri: „Ich stehe in der Sonne, erhärte und trockne / weiter aus. In der Nähe das dumpfe Stöhnen / eines geschlagenen Baumes. Auch das ist Musik!” Csoóris Verse sind gekennzeichnet von einer bisweilen befremdlichen Abruptheit, von unruhigem Aufbruch inmitten einer zur Ruhe gekommenen Idylle. Eine Spannweite, die Höhen und Tiefen in existentiellem Sinne auslotet. - „Eure psalmensingenden Münder haben die Fäule wie mein Kirschbaum.” Sándor Csoóri hat neben Lyrik immer Prosa, Essays oder auch Filmszenarien geschrieben. Sein 1969 erschienenes Tagebuch anläßlich einer Reise nach Kuba ist auch heute noch lesenswert - im postkommunistischen Ungarn wird diese Veröffentlichung heute als ein Versuch interpretiert, ausgehend von karibischen Revolutionsidealen unnachgiebig kritisch die eigenen Verhältnisse im Land zu überprüfen. So umstritten manche von Sándor Csoóris publizistischen Äußerungen zuweilen sind, an der gewaltigen Kraft seiner lyrischen Metaphern herrscht kein Zweifel.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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