Rezension von Horst Wagner



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Mehr als eine optische Ergänzung

 

Christian Borchert/Almut Giesecke/Walter Nowojski (Hrsg.):
Victor Klemperer. Ein Leben in Bildern

Aufbau-Verlag, Berlin 1999, 224 S.

 


 

Ein gesamtdeutsches Ereignis und ein gutes Geschäft hat unlängst Rolf Schneider in einer „Morgenpost"-Kolumne die „Wiederentdeckung" des Romanistik-Professors jüdischer Herkunft Victor Klemperer genannt. Nach der Autobiographie, allen Tagebüchern und zeitgleich zu der nach seinen Aufzeichnungen von 1933 bis 1945 gestalteten 12teiligen Fernsehserie „Klemperer - Ein Leben in Deutschland" nun auch noch der Bildband, der jedoch in seiner soliden Machart und der Fülle bildlicher Dokumentation mehr ist als eine bloße optische Ergänzung des Bisherigen. Zu den - zum Teil bisher nicht bekannten - einen hohen Schauwert bietenden 322 Fotos und Reproduktionen sind jeweils kurze Zitate aus Klemperers Autobiographie und seinen Tagebüchern gestellt, die einen gedrängten, aber durchaus abgerundeten Einblick in seine Erlebnis- und Gedankenwelt geben.

Der Band beginnt mit Victor Klemperers Geburtsurkunde von 1881, einem Gruppenbild seiner acht älteren Geschwister (er war das neunte Kind eines Rabbiners) und Klemperers Notiz: „Am Abend meiner Geburt wurde das Gros der Kinder in das Käthchen von Heilbronn abgeschoben.” Am Ende steht ein Foto vom Grab des am 11. Februar 1960 Gestorbenen und seiner neun Jahre früher verstorbenen ersten Ehefrau Eva. Wenig davor eine Art Lebensfazit aus dem Jahre 1956: „Ich habe als Journalist begonnen, bin lebenslänglich Publizist geblieben. Berühmtheit im kleinen Käfig der DDR und nur für heute und morgen - eigentlich schon heute nicht mehr.” Dazwischen Zeugnisse aus Klemperers Leben wie seinem lokalen und gesellschaftlichen Umfeld während vier politischer Systeme in Deutschland. Zu einem Foto der Weidendammer Brücke aus dem Jahre 1897 beispielsweise Klemperes Text: „Wenn ich jetzt Mutter beim Einkauf begleitete, so holten wir das Fleisch in aller Publizität vom Schlächter in der Markthalle direkt an der Weidendammer Brücke und den Schinken aus Kruschels Delikatessenhandlung in der Luisenstraße.” Vor allem berlingeschichtlich Interessierte werden sich an einem Foto von einem Konzert in Krolls Gaststätte zu Jahrhundertbeginn erfreuen, wie auch an einem vom Spittelmarkt aus dem Jahre 1909 und Klemperers Schilderung, wie er hier im alten Zeitungsviertel oft vergeblich seine Feuilletons anbot. An Klemperers Münchener Zeit erinnert die Promotionsurkunde der Maximilians-Universität von 1913. Noch in Berlin ausgestellt ist der danebenstehende Taufschein: Auf familiären Druck war Victor Klemperer bereits 1903 zur evangelischen Kirche übergetreten und hatte 1912 seine Taufe erneuern lassen, was ihn bekanntlich nicht vor den rassenwahnsinnigen Verfolgungen durch die Nazis schützte.

Wir finden erschreckende Dokumente des Antisemitismus bereits aus der Zeit vor 1933, schauen in den Hörsaal der Dresdener Technischen Hochschule, in der Klemperer seit 1920 als Professor wirkte und mit Beginn der Naziherrschaft schlimme Demütigungen hinnehmen mußte, und können in der Entlassungsurkunde vom 10. April 1935 nachlesen, daß dies „auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” geschah. Wir sehen Klemperer mit Ehefrau am 1936 gekauften Auto stehen. (Wobei Oldtimer-Interessierten auffallen dürfte, daß das Auto in der Fernsehserie ein alter Audi bzw. Wanderer war, im Klappentext zum Bildband von einem „alten BMW” die Rede ist, der Bildtext aber auf einen 6-Zylinder Opel, Baujahr 1932, verweist.) Wir finden Fotos der drei Dresdener Judenhäuser, in die Klemperers nach der Vertreibung aus ihrer Wohnung zwangseingewiesen wurden, eine Reproduktion des Haftbefehls von 1941 wegen Verstoßes gegen die Verdunklungsvorschriften und lesen die 31 von Klemperer aufgezeichneten „neuen Verordnungen in judaeos” aus dem Jahre 1942.

Fotos vom alten Dresden folgen erschütternde von der zerstörten Stadt. Wir sehen Victor Klemperer als Mitbegründer des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands”, ein Foto von der Wiedereröffnung der Dresdener TH am 18. März 1946, die Klemperer sein Lehramt wiedergab, und das Porträt, das Arthur Rudolph im gleichen Jahr von ihm malte. Wir lesen sein treffendes Urteil über die DDR-Volkskammer, in die er 1950 gewählt wurde: „Statistenrolle und Zeitvergeudung langweiligster Art, leerstes Repräsentationsspiel” und die ein paar Jahre später niedergeschriebene Bemerkung: „Ich wäre gern einmal Mitglied eines wirklich gesamtdeutschen Parlaments geworden, in einer anständigen sozialistischen Partei.” Wir sehen ihn aus der Hand Wilhelm Piecks den Nationalpreis entgegennehmen und lesen seine Notiz vom Januar 1956: „Und doch ist die DDR das kleinere Übel. (Gemeint ist offenbar gegenüber der Bundesrepublik, H. W.) Und es kränkt mich, wenn ich der achselzuckenden Verachtung der DDR begegne und nicht widersprechen kann.”

Ein sehr persönlich gehaltenes Nachwort Klaus Schlesingers rundet den gelungenen, hervorragend gedruckten Bildband ab, dem zu wünschen wäre - da hätte sicher auch Rolf Schneider nichts dagegen -, daß er gleich den Klemperer-Tagebüchern auf einem das literarische Geschäft belebenden Bestsellerplatz landen würde.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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