Rezension von Sven Sagé


Märchen machen

Thomas Böhme: Alle Spur wird Fell
Druckhaus Galrev, Berlin 1998, 114 S.  

Der Versuch, die Gäule Poesie und Prosa gleichzeitig und stehend zu reiten, ist mehr als eine zirzensische Schau. Der Versuch ist ein Wagnis. Für jeden Artisten. Ist Thomas Böhme der Artist, der den Ritt riskieren kann? Körperlich gut trainiert und von der Leichtigkeit des Tuns geleitet. Böhmes Terrain ist nicht die Manege. Seine Bühne ist das Buch. Die Lyrik des Schriftstellers ist erzählerisch wie das Erzählerische lyrisch. Barocke Metaphorik läßt die Schrift-Stücke Böhmes gelegentlich mehr Fett ansetzen, als das der literarischen Statur guttut. Der riskante Ritt also ein Versuch abzuspecken? Mitnichten! Auch die „Geschichten, Prosagedichte, Verse”, die Böhmes neues Buch füllen- Alle Spur wird Fell - neigen zu Fettansatz.

Im Unterschied zu den eindeutigeren lyrischen oder prosaischen Bänden suggeriert der Schreiber den Lesern, daß er die literarischen Zügel leicht und lässig, also locker, hält, ohne sie schleifen zu lassen. Wie bisher ist der Erzähler der Konstrukteur poetischer Imagination. Das eingangs eingeführte Bild noch einmal genutzt: Es soll der Eindruck erweckt werden, als stünde der Reiter mit beiden Füßen fest auf dem Rücken des prosaischen wie poetischen Pferdes. Der Eindruck trügt: Der zaubernde Imaginator schwebt über allem. Welcher Zügel hält da was im Zaum? Die gar nicht so wunderlichen Wunder geschehen in der imaginären Wirklichkeit. In der beginnt ein Pilz zu plaudern und wird zur Jahrmarktsattraktion. Ein Stuhl spricht. Jungen werden zum „Poller auf dem Platz der braunen Blume”. Der Autor empfiehlt, „weit vor der Jahrtausendwende” „Eine Stadt aus Seife” zu besuchen, die sich „mittels Zellophanbahnen” vergeblich gegen Regenwasser zu schützen versucht.

Thomas Böhme ist ein literarischer Gaukler, einer der Barden aus der Bruderschaft der Spökenkieker und Märchenerzähler. Er spielt sein Spiel. Er nimmt das Wort in die Pflicht, ihn und so seine Leser ins Land der Phantasie zu lotsen, das voller phantastischer Ecken und Kanten ist. Wer daran glaubt, daß Feuer rauchlos, Luft klar, Wasser rein sein können, ist in Böhmes Phantasie-Land gut aufgehoben. Sofern er nicht ignoriert, daß die bittere irdische Realität in Masken herumscharwenzelt, die Trauer tragen wie die des venezianischen Karnevals. Manches Schrift-Stück des Thomas Böhme rettet die Stille vor den Tücken der Straßen des Lärms. Wer so sehen kann, hat das Gefühl nicht verdrängt, Märchen zu erleben. Die modernen Märchen des Thomas Böhme beginnen: Es ist einmal ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
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