Rezension von Waldtraut Lewin


cover  

Mädchen ohne Korsett

 

Isabel Allende: Fortunas Tochter
Aus dem Spanischen von Lieselotte Kolanoske.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999, 483 S.

 


 

Das ist ein Buch, mit dem man sich wegschmökern kann. Das Richtige für Abende, wenn draußen der Schnee fällt oder man mit der nächsten Erkältung im Bett liegt. Aber auch wer seinen Winter auf Teneriffa verbringen will und eine gehobene Strandlektüre sucht, dem sei die neue Allende wärmstens ans Herz gelegt. Es ist das, was man im besten Sinn als Unterhaltung mit Stil bezeichnet, und das ist etwas Großes heutzutage, wo man oft nicht weiß, wie der Abgrund zwischen hochgestochener Künstelei auf der einen Seite und trivialer Tiefstapelei auf der anderen zu überbrücken ist. Isabel Allende, Vielschreiberin und Autorin eines internationalen Bestsellers nach dem anderen, drückt diesmal nicht auf die mütterlichen Tränendrüsen wie in Paula, macht auch nicht in erotisch-lateinamerikanischer Sinnlichkeit pur wie in Aphrodite, sondern ist wieder sozusagen beim Ausgangspunkt angelangt: bei der Familiensaga, beim Schicksal einer starken Frauensperson, die nicht bereit ist, ihr Leben lang in den Bahnen der Tradition dahinzudümpeln, sondern selbst zur Schmiedin ihres Glückes wird.

Eliza Sommers, angebliches Ziehkind eines gutbürgerlichen Hauses in Valparaiso - in Wahrheit aber verwandt mit der Wahlfamilie -, hat von vornherein einen Hang zum Küchenpersonal und den einfachen Leuten, trotz aller guten Erziehung. Kaum herangewachsen, durchkreuzt sie die Heirats-Hoffnungen ihrer Tante und verliebt sich in einen jungen Habenichts, der sie nach ein paar Liebesnächten verläßt und nach Kalifornien abhaut, ins Land des Goldrauschs; wir schreiben das berühmte Jahr 1848. Eliza, schwanger wie sie ist, folgt als blinder Passagier seiner Spur, verkleidet als chinesischer Junge (sic! Im Roman geht alles!), protegiert und heimlich geliebt von einem asiatischen Arzt. Sie fragt und forscht nach ihrem Geliebten, dessen Bild immer mehr in ihrer Erinnerung verschwimmt, mit der Hartnäckigkeit Allendescher Frauengestalten, erfährt, daß er inzwischen zum berüchtigten Banditen mutiert ist, steht schließlich vor seinem abgeschlagenen Kopf und ist nun endlich in der Lage, sich zu ihrer chinesischen Liebe zu bekennen - eine andere Frau, mit anderen Erfahrungen, einem anderen Lebensradius, frei auf ihre Weise.

Das klingt nach Kolportage? Ja, tut es. Ist es aber nicht. Es balanciert vielmehr mit Glück und Geschick auf jenem Grat, der haarscharf am Kitsch vorbeiführt. Um ins Billige abzusacken, dazu hat die Autorin eine zu reiche Palette an Details zur Verfügung, dazu spielt sie zu souverän mit den Klischees, läßt sie wieder fallen, formt sie um.

Isabel Allendes Welt ist nie eindimensional, und keine der Figuren bleibt so, wie sie war. Immer wieder faszinieren einen Brüche, amüsieren oder erregen einen plötzliche Enthüllungen; so, wenn herauskommt, daß die prüde „altjüngferliche” Tante Elizas von der einzigen wilden Liebesepisode ihres Lebens (mit einem Wiener Tenor!) insofern zehrt, als sie unter Pseudonym Pornoschriften verfaßt.

Goldgräberstimmung allüberall, aufstrebende Geschäftsleute wissen ihre Chancen zu nutzen, und Eliza ist clever genug, ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen. Mitte des vorigen Jahrhunderts, und noch kann alles gut werden ...

Die vielbewunderte Kunst der Lateinamerikaner, des „realismo magico”, epische Strukturen auszuführen, ihre Fähigkeit, große epische Bögen, LebensZeiten ihrer Figuren zu gestalten und sie in ihrer Wandelbarkeit, eingebettet in die Geschehnisse der Zeit, darzustellen - über die verfügt auch die Allende, welche Kluft sie auch immer trennen mag von den Großmeistern des Kontinents wie Marquez oder Llosa. Manchmal erscheint mir eine Episode zu lakonisch erzählt, eine Figur zu wenig ausgeschöpft, ein Spannungsbogen verschenkt - vielleicht hängt es zusammen mit der fieberhaften Schnelligkeit ihrer Produktion. Unbeschadet dessen - ich wiederhole mich - ist Fortunas Tochter, wie die meisten Bücher dieser Schriftstellerin, große Unterhaltungskunst, ohne Abstriche gut zu lesen und ein opulenter Genuß für die Phantasie.

Die Autorin selbst zu ihrem Buch: „Elizas Reise steht dafür, was mit uns Frauen geschehen ist: Wir mußten unser Korsett abstreifen und uns ,vermännlichen`, um dann wieder zu unseren Frauenkleidern zurückzukehren - dieses Mal ohne Korsett!”

Das klingt sehr nach Kopfgeburt; aber es ist ihr bestimmt erst eingefallen, als das Buch geschrieben war. Denn Gott sei Dank ist dieses Buch kein Lehrstück, sondern eine Erzählung, die aus dem Bauch kommt. Fast fünfhundert Seiten lesen sich weg wie nichts. Große Empfehlung!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite