Eine Rezension von Irina Hundt


Ein biographisches Potpourri

Sabine Freitag (Hrsg.):

Die Achtundvierziger. Lebensbilder aus der deutschen Revolution 1848/49
C. H. Beck, München 1998, 354 S.

In 22 kurzen, wissenschaftlich-populären Beiträgen - auf jeweils 8 bis 18 Druckseiten - werden 25 Männer und Frauen der Revolution anläßlich deren 150. Jahrestags wieder in Erinnerung gebracht. Die Mehrzahl der Dargestellten zählt jedoch wahrlich nicht zu den Vergessenen. Die Beiträge, alle mit schönen zeitgenössischen Porträts versehen, behandeln Ludwig Uhland, Arnold Ruge, Georg und Emma Herwegh, Friedrich Hecker, Gustav und Amalie Struve, Karl Blind, Friedrich Daniel Bassermann, Robert von Mohl, Heinrich Freiherr von Gagern, Robert Blum, Julius Fröbel, Gabriel Riesser, David Hansemann, Peter Reichensperger, Ludwig Bamberger, Mathilde Franziska Anneke, Malwida von Meysenbug, Jakob Venedey und Henriette Obermüller-Venedey, Georg Gottfried Gervinus, Johann Gustav Droysen, Joseph Maria von Radowitz und Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.

Im Vorwort schreibt die Herausgeberin, daß mit diesem Band ein Versuch unternommen wird, „anhand der Lebensbilder, gleichsam im Medium der Wahrnehmung und Beurteilung der Beteiligten, einen biographischen Zugang zu der Vielfalt an theoretischen und praktischen Überlegungen dieser Jahre zu finden. Dabei geht es keineswegs um die naive Annäherung an das heroisch handelnde Subjekt der Geschichte jenseits von Strukturen und Klassen. Vielmehr soll das facettenreiche Bild der Revolution gebrochen durch die Perspektive des individuellen Lebensschicksals gezeichnet werden. In den theoretischen Anschauungen und praktischen Forderungen der Protagonisten spiegeln sich die potentiellen Entwicklungsmöglichkeiten der deutschen Zustände nach 1848 wider.“ (S. 7-8) Dieser breit angelegte Ansatz wird eine Seite später reduziert, indem die Herausgeberin ihre Bemühungen auf einen „überwiegend bürgerlichen Rahmen“ (S. 9) konzentriert. Und in der Tat, wenn mehrere Adlige und so hochkonservative Vertreter des Feudalismus wie Radowitz und der preußische König ihren Platz im „facettenreichen Bild“ gefunden haben, so fehlen vollkommen die Vertreter der unteren Schichten, der Volksmasse, die auf der Straße vieles bewegen konnten. Bemerkenswerterweise bleiben weiterhin Mitglieder der Arbeiterverbrüderung oder gar des Bundes der Kommunisten, die Männer um Marx, die äußerste linke Fraktion der Revolution, ausgespart. Überhaupt scheint es ein Prinzip des Sammelbandes zu sein, linke Episoden in den einzelnen Biographien zu überspringen: Jakob Venedeys Mitbegründung und Leitung des Bundes der Geächteten in Paris wird mit einem Satz „gewürdigt“ und sein Verhältnis zu Heine nicht erwähnt, bei Droysen fehlt die Mitarbeit an Ruges oppositionellen Hallischen Jahrbüchern (1838), Mathilde Franziska Anneke schloß sich 1847 „einem kleinen Kreis von gesellschaftskritischen Juristen und Offizieren“ an, daß aber diesem „vormärzlichen Debattierklub“ (S. 221) „lauter Communisten“1 angehörten, neben Mathildes Mann, Friedrich Anneke, auch Andreas Gottschalk, Nikolaus Hocker und August Willich, die im Jahr darauf in Köln zu den aktivsten Akteuren der Revolution zählten, wird ausgeklammert. Und es paßt zu diesem Eindruck, daß die sonst überall verschwiegenen Verbindungen zu den Kommunisten im Falle Karl Blinds, von dem Rudolf Muhs ein emotional verzeichnetes Bild persönlicher Verworfenheit zeichnet, nicht nur deutlich benannt werden, sondern dessen Mitgliedschaft im Bunde, in Polemik mit marxistischer Literatur, sogar vorverlegt wird.

Die Herausgeberin hat es verstanden, teilweise repräsentative Autoren zu verpflichten, darunter Dieter Langewiesche, Lothar Gall und Peter Wende, vorwiegend aber jüngere Historikerinnen und Historiker zu Wort kommen zu lassen. Wie man trotz der gebotenen Kürze neues Material und neue Sichten darlegen kann, beweist u.a. Ingo Fellrath im Beitrag über die Herweghs. Fellrath und Rüdiger Hachtmann, der über von Radowitz schreibt, sind die einzigen, die souverän genug sind, einschlägige Fachliteratur aus der ehemaligen DDR gleichberechtigt zu zitieren.

Zu begrüßen ist die Aufnahme von fünf Frauen in den Kreis der Achtundvierziger. Und das ist das Verdienstvollste an diesem Sammelband. Zwar sind das Frauen, über die - mit Ausnahme von Henriette Obermüller-Venedey - bereits relativ viel Literatur vorliegt, dennoch wird deutlich, daß sich mit dem Einbeziehen der Frauen in die geschichtliche Darstellung der Revolution von 1848/49 eine Tendenz in der allgemeinen Historiographie durchsetzt, die noch vor wenigen Jahren nur aus der Sicht der Frauenforschung denkbar war.

Die Ehepaare Herwegh, Struve und Venedey in Doppelbiographien zu behandeln ist eine schöne Idee, nur ist nicht ersichtlich, warum diese Möglichkeit nicht auch bei den Annekes und Blums gewählt wurde. Irmtraud Götz von Olenhusen ist eine der wenigen, die unveröffentlichtes Archivmaterial benutzen; in ihrem Beitrag über die Struves zitiert sie aus einem interessanten Artikel von Amalie (S. 78-80), über den man mehr erfahren möchte. Daß Mathilde Anneke „radikaler“ als Louise Otto-Peters für die Beteiligung der Frauen an der Politik eingetreten sei, wie Susanne Kill behauptet (S. 219), ist ein altes, der Unkenntnis der Quellen geschuldetes Fehlurteil.

 


1Vgl. dazu Jürgen Herres: 1848/49. Revolution in Köln. Janus Verlagsgesellschaft, Köln 1998.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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