Eine Rezension von Gerhard Keiderling


Hinter den Kreml-Kulissen des Kalten Krieges

Wladislaw Subok/Konstantin Pleschakow:

Der Kreml im Kalten Krieg. Von 1945 bis zur Kubakrise.

Claassen Verlag, Hildesheim 1997, 384 S.

Der Kalte Krieg von den roten Zinnen des Kremls aus gesehen - das verspricht eine span- nende Lektüre, zumal zwei junge russische Historiker („Wir waren noch nicht einmal geboren, als Josef Stalin 1953 starb [...] Als wir eingeschult wurden, waren die schlimmsten Krisen des Kalten Krieges vorbei.“ [S.7]) als Autoren zeichnen. Die westlichen Sichten und Interpretationen sind hinlänglich bekannt. Subok, Mitarbeiter am National Security Archive in Washington, und Pleschakow, Direktor des Zentrums für Pazifische Studien in Moskau, warten mit neuem Archivmaterial auf, das enthüllende Einblicke in die Denk- und Machtstrukturen der Kreml-Herrscher bietet.

Das Buch ist nach der biographischen Methode gegliedert. Die beiden ersten Kapitel sind Stalin gewidmet, die nachfolgenden wenden sich dessen Schülern und Diadochen zu: Molotow, Schdanow, Berija, Malenkow und Chruschtschow. Ihre Charakterbilder sind sämtlich abstoßend, ihre Verstrickungen in den stalinistischen Terror notorisch, ihr Machthunger und andere Führungsschwächen gravierend und ihre außenpolitische Realitätsferne eklatant. Dennoch bescheinigen ihnen die Verfasser: „Nicht alle Herrscher waren eingefleischte Anhänger der reinen Lehre. Ihre Launen und Einfälle, Komplexe und Phobien führten bei den Sowjets zu einer dehnbaren Sicht des Kalten Krieges. Manchmal besaßen sie sogar größeren Bewegungsspielraum als ihre westlichen Gegenspieler.“ (S. 385) Die Verfasser wenden große Aufmerksamkeit darauf, die widersprüchliche Verarbeitung der neuen internationalen Rahmenbedingungen (Stichworte: Atomkriegsgefahr, Gleichgewicht des Schreckens, Bipolarität, friedliche Koexistenz, Dritte Welt) durch eine Herrschergeneration, die im Geiste ihrer Lehrmeister Lenin und Stalin die Welt noch lange mit den Augen der Zwischenkriegszeit - die Autoren verwenden hierfür den Begriff „revolutionär-imperiales Paradigma“ - sah, aufzuzeigen. Dies ist ihnen am Interregnum von Berija und Malenkow und noch stärker an Chruschtschows Regierungszeit gelungen. Letzteren charakterisieren die Verfasser als letzten Revolutionär und ersten Reformer im Kreml. Es wird nachgewiesen, daß der Kalte Krieg keineswegs nur außenpolitisches Rahmenwerk, sondern ebenso innenpolitische Komponente im ständigen Machtkampf nach Stalins Tod gewesen ist. Unter Chruschtschow gelang es, die neuen technokratischen Eliten des militärindustriellen Komplexes der Sowjetunion in die Partei- und Staatsbürokratie zu integrieren.

Die Verfasser schildern anschaulich das Verhalten der Kreml-Führer in den Weltkrisen von Korea 1950-1953, Suez/Ungarn 1956, Berlin 1958-1961 und Kuba 1962. Ihre Wertungen sind trefflich formuliert, ihre Sprache ist einem breiten Leserkreis verständlich.

Problematisch erscheint die weitgehende Beschränkung auf die Kreml-Perspektive. So entsteht der Eindruck, der Kalte Krieg sei eine Erfindung Stalins und seiner Nachfolger gewesen, nur darauf bedacht, „das Sowjetimperium zu bewahren, welches Millionen von Sowjetbürgerinnen und -bürger während des zweiten Weltkrieges unter Einsatz ihres Lebens verteidigt hatten“ (S. 384). Daß maßgebliche westliche Kreise das Kriegsbündnis mit Stalin seinerzeit schon als eine „unglückliche Mesalliance“ betrachteten, daß sie angesichts der Siegesparade auf dem Roten Platz tönten, man hätte „das falsche Schwein geschlachtet“, daß das atlantische Bündnis vor dem Warschauer Pakt geschlossen wurde und anderes mehr aus der wechselseitigen Geschichte des Kalten Krieges, wird unzureichend in die Betrachtung eingearbeitet. Die „Pax Sowjetica“ war tatsächlich ein Reflex auf die „Pax Americana“ nach 1945. Man kann Stalin und seinen Diadochen zu Recht ideologische Beschränkung, Revolutionseifer, Machtdrang und „Fremdenfeindlichkeit“ vorhalten. Doch welche Bewegmotive zum Kalten Krieg gab es auf westlicher Seite? Die sogenannte revisionistische Schule in den USA, die in den 70er Jahren auch in der Bundesrepublik Vertreter fand, war in dieser Hinsicht schon einmal weiter gewesen. Sie interpretierte den Kalten Krieg als einen bilateralen Prozeß, in welchem Moskau auf bestimmte Aktionen Washingtons reagierte.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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