Eine Rezension von Jens Helmig


„... sach ma nix.“

Jürgen Keßler (Hrsg.):

Hanns Dieter Hüsch. Kabarett auf eigene Faust. 50 Bühnenjahre

Karl Blessing Verlag, München 1997, 192 S.

 

Wie sich aus dem Titel entnehmen läßt, ist das von dessen langjährigem Mitarbeiter und Begleiter herausgegebene Buch weniger eine sachliche Auseinandersetzung, sondern eher eine Hommage an einen großen und in vielerlei Hinsicht unverwechselbaren Kabarettisten. Diejenigen unter den Lesern, die mit dem eher unpolitischen und leisen Kabarett Hanns Dieter Hüschs in der Vergangenheit nichts anfangen konnten, werden ihre Haltung nach der Lektüre vermutlich auch nicht ändern können. Allen Fans und Bewunderern sei die knapp zweihundertseitige Chronik der Bühnenprogramme jedoch wärmstens empfohlen. Die Entwicklung von Hüschs Kleinkunst wird über fünfzig Jahre chronologisch nachgezeichnet, Textausschnitte wechseln sich harmonisch und rhythmisch mit Fotografien, Karikaturen und sonstigen Schnipseln ab. Bekanntere Texte wie „Das Phänomen“, eine sicherlich eindrucksvolle Auseinandersetzung mit der Genese des alltäglichen Fremdenhasses in uns, sind gänzlich verfügbar, Uraufführungsdaten der einzelnen Programme werden neben technischen und inhaltlichen Hinweisen zu den Inszenierungen ebenfalls gegeben. Alles in allem ist das sorgfältig edierte Buch eine lohnenswerte Investition.

Da eine Rezension jedoch mehr beinhalten sollte als eine bloße technische Beschreibung, komme ich nicht umhin, auch über den Inhalt einige Worte zu verlieren. Menschen meiner Generation (1969), die nicht zum devot-unkritischen Bewunderertum neigen, monieren an Hüschs Kabarettkunst neben der Redundanz seiner literarisch verarbeiteten Themen und der zweifelhaften musikalischen Qualität seines Orgelspiels häufig die kleinbürgerlich bis konservative Grundhaltung des Künstlers, natürlich nur, insofern sich diese aus den Inszenierungen seiner Texte entnehmen läßt. Auch der Rezensent wird sich diesem Urteil vorsichtig anschließen. Hüschs Kabarett ist tatsächlich harmlos bis versöhnlich und in einer eigenartigen Weise heimatverbunden. Natürlich ist es legitim, in den Dialogen einiger lyrisch komponierter Bühnenfiguren, die bekannteste Gestalt unter diesen dürfte das mittlerweile sprichwörtliche Niederrheiner Original Ditz Atrops sein, ein Gesellschaftsab(zieh)bild zu entwerfen und vor dessen Hintergrund Probleme metaphysisc-hanthropologischer Natur zu diskutieren. Inwieweit diesen Problematisierungen jedoch die intendierte Allgemeingültigkeit zugesprochen werden kann, bleibt häufig mehr als fraglich. Die Wirkung dieser Kleinkunst ergibt sich in Hüschs Falle häufig aus einem unbewußten Überlegenheitsgefühl des meistenteils aus Akademikern bestehenden Publikums. Die dörfliche Perspektive der zur Schau getragenen Ansichten und/oder Kabinettstückchen entbehrt zwar häufig nicht einer gewissen Komik, doch sie bleibt trotz aller gegenteiliger Bemühungen provinziell. Nach fünfzig Jahren Kabarett wissen die Zuschauer nun eine ganze Menge über das Denken des Niederrheiners, diejenigen, die es etwas angeht, mögen den ersten Stein werfen. Hüschs Perspektive, die gesellschaftlichen Probleme zu betrachten, ist die eines sentimentalen Außenseiters, eines „seitlich Umgeknickten“; er gehört also jener Gruppe an, für die er nach eigenem Bekunden auch singt und dichtet. All dies ist nicht verwerflich, geschweige denn unpolitisch. Auch ein Liebeslied ist nicht unpolitisch, da es unter gewissen gesellschaftlichen Umständen entstanden ist, sagt Hüsch in seiner Chronik einmal sinngemäß. Dieser Satz ist auf den ersten Blick natürlich richtig. Aus ihm ergibt sich allerdings ein eigenartiges Bild vom Wesen des Politischen. Offenbar ist die gesellschaftliche Sphäre mit der politischen derart verwoben, daß jeder (positive) gesellschaftliche Akt politisch verstanden werden kann. Zugegebenermaßen ist diese Ansicht weit verbreitet, weshalb Hüschs Kabarett auch durch das gesamte politische Spektrum mehr oder weniger dankbar aufgenommen wird.

Andererseits liegt in einer solchen Uneindeutigkeit der Verwendung des Begriffs vom Politischen die Gefahr, das politische Handeln zugunsten eines gesellschaftlichen Gutmenschenseins aufzugeben. In diesem und nur in diesem Sinne ist Hüsch ein unpolitischer Kabarettist. Als Beleg für diese These mag man das bereits oben erwähnte Gedicht oder Lied „Das Phänomen“ heranziehen. Wie sehr häufig beginnt Hüsch seine Überlegungen zur Entstehung dessen, „das man Faschismus nennt“, beim Denken und Verhalten der Kinder, der Unschuldigen. Es reagiert auf Antipathien und Xenophobien der Erwachsenen seines Umfeldes, indem es diese nachplappert und über kurz oder lang verinnerlicht. Paßt die Gesellschaft nicht auf, führt diese Indoktrinierung später zu Haß und Völkermord.

Hüschs Antwort ist passiv friedensbewegt, er fordert explizit auf, Menschenketten zu bilden. Das kann man machen, was es bewirkt, steht auf einem anderen Blatt. Wichtiger ist jedoch, daß das Wesen des Faschismus nicht, wie es hier implizit geschieht, auf Fremdenfeindlichkeit reduziert werden kann. Der Faschismus ist ein politisches Phänomen, das einerseits aus einer generell unpolitischen Haltung des Bürgers entsteht, der sich daran gewöhnt, daß sich die staatlich ausgeübte Gewalt zum Terrorismus steigert und dieser zu einer politischen Option wird. Fremdenfeindlichkeit ist ein besonders in Deutschland auftretendes, aber nicht notwendiges Phänomen einer, aus welchen Gründen auch immer, zur Gewalttätigkeit neigenden Gesellschaft. Staatlich organisierte Fremdenfeindlichkeit kann ebenfalls ein Aspekt des Faschismus sein, jedoch kein notwendiger. Belegt man die gewalttätigen Äußerungen einer Gesellschaft jedoch voreilig mit einem politischen Begriff, wird nicht nur das Wesen des Politischen verwässert, man verschließt sich darüber hinaus auch mittelbar allen weiteren Vorankündigungen eines neuen oder alten Faschismus.

Man mag dieser Betrachtung entgegenhalten, daß auch ein rein am tagespolitischen Geschehen orientiertes Kabarett zu häufig seinen künstlerischen und gesellschaftlichen Bezug verliert, indem es meist nur kurzlebige, auf Kolportage basierende Kalauer immer zweifelhafteren Niveaus hervorbringt. Dieser Vorwurf ist nicht unbegründet. Natürlich leben wir in Zeiten, in denen die unterleibsorientierte und häufig vorurteilsbelastete Fernsehkomik, die nicht selten aus Witzen über Minderheiten und Randgruppen besteht, einem dankbaren Publikum zu später Stunde präsentiert, als Gipfel kabarettistischer und möglicherweise stilkritischer Wortkunst gefeiert wird. In jedem lyrischen Ton, der von einer Kleinkunstbühne herab geäußert wird, jedoch die Wiedergeburt eines Kurt Tucholsky oder einer Lore Lorenz zu feiern, scheint doch eher eine ziemliche Übertreibung.

Trotz aller geäußerten Bedenken, die natürlich auch eine Frage des Geschmacks sind, ist das Buch vor allem deswegen empfehlenswert, da es nicht zuletzt die Geschichte einer Kunstform erzählt. Der Leser würde sich an manchen Stellen ein wenig mehr Objektivität wünschen; auf der anderen Seite will die Chronik zunächst eine Hommage sein, und sie ist als solche in keiner Weise zu beanstanden.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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