Eine Rezension von Licita Geppert

Und in den Augen Trauer ...

Paul Britton: Das Profil der Mörder

Die spektakuläre Erfolgsmethode des britischen Kriminalpsychologen.

Aus dem Englischen von Giuliana Broggi Beckmann.

Econ, Düsseldorf/München 1998, 462 S.

 

Passend zum englischen Originaltitel The Jigsaw Man ist auf dem Buchumschlag ein Puzzle- Teil in den Umrissen eines Menschen abgebildet, das von zwei Fingern gehalten wird. Kürzer und treffender ist die Methode des erfolgreichen britischen Kriminalpsychologen Paul Britton kaum darzustellen. Die menschliche Psyche hinterläßt Spuren in jeder Handlung, die wir begehen. Wie Puzzleteile zusammengesetzt sind auch diese Markierungen, ähnlich einem Fingerabdruck, unverwechselbar - mit einer Besonderheit -, man muß sie zu lesen verstehen. „Jeder Aspekt des Verbrechens - Ort, Timing, die Waffe, das Opfer, die Grausamkeit des Angriffs, das Maß an Planung - besagt etwas über die verantwortliche Person. Das entscheidende sind die Details. Wenn man sie übersieht, ist man verloren; wenn man nicht versteht, worauf man da schaut, wird man es sowieso nicht erkennen ... oder, schlimmer noch, ... zu völlig unsinnigen Schlüssen kommen.“ Dies bleibt bei aller Quantifizierbarkeit und Objektivierbarkeit menschlicher Verhaltensweisen für mich der wichtigste Eindruck dieses Buches. Für den Menschen Paul Britton bedeutet der tägliche Umgang mit Opfern, Tätern und Tatorten eine ungeheure psychische Belastung, deren jahrzehntelange Anhäufung sich in seinen Augen widerspiegelt. Sie blicken unendlich traurig und wissend. In seinen mit einigen autobiographischen Details zur Erhellung seines beruflichen Entwicklungsweges angereicherten Fallbeschreibungen führt Britton den Leser durch eine finstere Landschaft der verlorenen Seelen. Seine einzige Ausrüstung auf diesem düsteren Weg sind sein enormes Wissen über menschliche Abartigkeiten, sein waches Aufnahmevermögen für Details und Zusammenhänge sowie seine Fähigkeit, sich in die Persönlichkeit von Opfer und Täter hineinzuversetzen.

Bereits in seiner Jugend mußte der 1946 in einer einfachen Familie geborene Britton große Hartnäckigkeit und großen Willen aufbringen, um studieren zu können. Er wählte das Fach Psychologie. „Sie gab mir die Möglichkeit, nicht nur meine eigene Wißbegierde zu befriedigen, sondern auch das Leben anderer Menschen wieder ins Lot zu bringen.“ In der Folge wird Britton, der eher zufällig und beiläufig in polizeiliche Ermittlungen einbezogen wird, schwer an dieser Lebensaufgabe zu tragen haben. Führt sie ihn doch nicht nur in menschliche Abgründe, sondern zwingt ihn gleichzeitig in eine gottähnliche Position: Von der Richtigkeit seiner Schlußfolgerungen hängen Menschenleben ab - die eventueller neuer Opfer oder die unschuldig Verurteilter. In Nebensätzen erfährt der Leser, wie Britton bei der Bearbeitung der Fälle und der Entwicklung einer eigenen Ermittlungsmethode bis an die Grenzen seiner physischen und psychischen Belastbarkeit geht, was unabdingbar Auswirkungen auf die Familie haben muß. Ohne seine liebevolle Umgebung hätte er das tägliche Grauen nicht überstehen können, dennoch verbleibt an jedem Tatort ein Stück seiner Lebensfreude. „Jedesmal, wenn ich mich ganz darauf einlasse, mindert das meine Fähigkeit, mich des Lebens zu erfreuen. Ich finde die Farben immer noch leuchtend, die Sonne scheint nach wie vor warm, und Leute lächeln immer noch, doch irgendwie betrete ich einen Bereich, der mich daran hindert, diese Dinge wirklich zu genießen.“ Als unbezahlt für die Polizei arbeitender Psychologe findet er seine Erfüllung nicht in der Mehrung von Reichtum und Ruhm, sondern ausschließlich in der Aufklärung und Verhinderung von Verbrechen. Das ist schließlich auch die starke Motivation, allen Belastungen und auch Anfeindungen zum Trotz den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Den Hauptteil seiner literarisch anspruchsvollen Darstellung machen Fallbeispiele aus, durch deren ausführliche Schilderung der Leser viel über Brittons Vorgehensweise und die von ihm entwickelte Methode der Täterprofile erfährt. Seine Tätigkeit lieferte die Vorlagen für die britische Kriminalserie „Für alle Fälle Fitz“. Die beschriebenen Fälle, darunter Firmenerpressungen, vorgetäuschte Überfälle, sexuell motivierte Serienmorde, von denen besonders der Massenmord durch Rosemary und Frederick West auch in Deutschland Schlagzeilen machte, sind hochinteressant. Sie vermitteln neben allen voyeuristischen Details spannende Einblicke in die polizeiliche Ermittlungsarbeit. Den Schwerpunkt dieses Buches bildet natürlich die die Ermittlungen begleitende Tätigkeit des Kriminalpsychologen, der an die Fälle von einer völlig anderen Warte herangeht. Britton versucht, hinter die Dinge zu blicken. Er nähert sich dem Täter und dessen Persönlichkeit über das Opfer und den Tatort. Das Wissen über das Auftreten des Opfers und winzige Details am Ort des Verbrechens lassen deutliche Rückschlüsse zu über Psyche und wahrscheinliche Abartigkeiten des Täters, wozu nicht nur sexuelle, sondern auch sonstige Persönlichkeitsstörungen zählen. Brittons Suche nach den Wurzeln für abartiges Verhalten mündet in einem tiefen Verständnis für die Psyche des Täters, ohne jegliche Billigung der Tat. Gleichzeitig beschreibt er detailliert seine Vorschläge für den Aufbau und die Führung von Verhören, um dem Täter das Eingeständnis seiner Schuld zu ermöglichen. Der Autor schildert in seinem Buch ausschließlich die Treffsicherheit seiner Täterprofile. Interessant zu wissen wäre jedoch auch gewesen, wie das Verhältnis von Erfolg und Mißerfolg im Vergleich zur Gesamtzahl der von ihm erstellten Profile tatsächlich ist. Das ist die einzige (verzeihliche) Schwachstelle dieses hervorragenden Buches. Britton klammert indes Mißerfolge keineswegs aus. Diese jedoch bestehen vor allem im unbefriedigenden Ausgang von Ermittlungen oder Prozessen, da Täterprofile letztlich ohne stichhaltige Beweise allein für einen Schuldspruch nicht ausreichen, oder in einer unverständlichen, ablehnenden öffentlichen oder internen Reaktion.

Der Kriminalpsychologe, der angesichts der Vielzahl der ihm angetragenen Fälle nicht mehr in der Lage ist, alle Anfragen zu bearbeiten, bemüht sich seit vielen Jahren im Verein mit hochrangigen Polizeiangehörigen, die forensische Psychologie und die Erstellung von Täterprofilen als Bestandteil des Psychologiestudiums zu etablieren, um sie auf diesem Wege in den üblichen Verlauf der Ermittlungen zu integrieren. Dabei werden auch die Ergebnisse des vom FBI verwendeten Systems ausgewertet und Erfahrungen ausgetauscht. Werner Mathes, Reporter beim Stern, brachte es in einmaliger Ignoranz der Leistungen des Autors in seinem Nachwort fertig, nach immerhin 455 Seiten von Paul Britton, ausschließlich das amerikanische System darzustellen und den Autor nur in einem winzigen Nebensatz zu erwähnen. Über eine derartige Unverfrorenheit ist Britton jedoch aufgrund seiner Bescheidenheit und Zurückhaltung erhaben.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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