Rezension

 

„Das Desinteresse der Ökonomie am Schicksal der Ware“ - nach ihrem Tod

Guido Viale: MegaMüllMaschine
Über die Zivilisation des Abfalls und den Abfall der Zivilisation.

Aus dem Italienischen von Michaela Wunderle.
Rotbuch Verlag, Hamburg 1997, 239 S.

Dies ist ein Buch, aus dem man gern und häufig zitieren möchte. Also, los geht's: „Die Welt der Abfälle hat eine besondere Faszination. Jedenfalls für mich. Zwei Motive liegen dieser Passion zugrunde. Das erste ist ganz persönlicher Natur und rührt von meiner besonderen Neigung her, mit dem Verstand und den Händen in alten, aussortierten Sachen herumzuwühlen. Meine Vorliebe für gebrauchte anstelle von fabrikneuen Dingen erwächst aus der Überzeugung, daß nicht alles, was nagelneu ist, unbedingt begehrt werden müsse, und nicht alles, was abgenutzt ist, deswegen schon abzuschaffen sei. Eine Art metaphysischen Geizes treibt mich dazu, dem klassischsten aller freudianischen Paradigmen entsprechend, nicht so sehr in meinen eigenen Exkrementen nach Gold zu graben als vielmehr, und das mit sehr viel mehr Ehrgeiz, in denen der gesamten Menschheit.“

Der Rezensent befindet sich bei der Lektüre dieses Buches im Zustand eines enthusiastischen und bejahenden Verstehens, und der Leser dieser Rezension sei gleich gewarnt: Es wird im Verlaufe der folgenden Zeilen eine Art Liebeserklärung geben an einen Autor, mit dem sich der Rezensent, selten genug, geradezu zwillingsbrüderlich verbunden fühlt, kurz, die Herzen schlagen im gleichen Takt.

Deshalb gleich noch ein Zitat: „Luft. Von den Schadstoffen einmal abgesehen, ist das Kohlendioxyd aus den Verbrennungsprozessen selbst ein Residuum, d.h. Abfall. Es ist aber auch der Hauptgrund für den Treibhauseffekt, und sein Ausstoß hat ein solches Ausmaß erreicht, daß er inzwischen das ökologische Gleichgewicht des gesamten Planeten bedroht. Obschon wider Willen, mußte der moderne Mensch deshalb zu der Einsicht gelangen, daß nicht einmal der Himmel - der moderne Himmel, der von der atmosphärischen Hülle um die Erde gebildet wird - groß genug ist, um alle seine Abfälle aufzunehmen.“

Es ist tatsächlich die gelungene Mixtur aus „Analyse, persönlichen Gedanken, literarischen Texten, Nachrichten, historischen und philosophischen Reflexionen“, die diese Gedanken über die „Megamüllmaschine“ der modernen Zivilisation zu einem sehr lesbaren und wichtigen Buch werden lassen. Kein Buch für Fachleute, die nur einen einzelnen Aspekt vertiefen wollen, nein, ein Text, der anregt, über die alltäglichen Idiotien sogenannter moderner Gesellschaften nachzudenken.

Viale spricht vom „Tod der Ware als Ware“, nachdem diese bei der letzten ihrer Stationen innerhalb der sogenannten Konsumgesellschaft angelangt ist. Der Autor macht deutlich darauf aufmerksam, daß wir eigentlich mit unserer Konsumgesellschaft nicht allein - unbedacht - konsumieren, sondern auch produzieren: eine sekündlich wachsende gigantische Menge von Müll.

Guido Viale beherrscht seinen Stoff, das Buch ist in sehr viele kleine Abschnitte unterteilt, mit einigen größeren Überschriften wie „Kleine Phänomenologie des Abfalls“, „Kreisläufe der Entsorgung“, „Den Müll bewältigen“ etc. ... Einer dieser Abschnitte von oft nur ein bis zwei Buchseiten Umfang ist „Bonbon“ überschrieben: „Früher schloß man eine Deponie, indem man sie mit einer Schicht fruchtbarer Erde überzog; anschließend wurden Bäume darauf gepflanzt (...) allerdings ... wird die Wiederbegrünung einer Deponie niemals so aussehen wie jene schönen Parks, die sich Planer ... erträumen. Statt dessen entsteht eine öde Landschaft, über der ein Hauch von Gestank lastet. Um dieser Unannehmlichkeit abzuhelfen, hat die moderne Technologie ein Verfahren ersonnen, gesättigte Deponien hermetisch zu versiegeln. (...) Natürlich verlangsamen sich auf diese Weise letztlich sämtliche Zersetzungs- und Mineralisierungsprozesse ... und wir hinterlassen unseren Nachkommen ein elegant verpacktes Bonbon von einigen Hektar Größe.“

Daß innerhalb einer Menschengeneration eine riesige Zahl von Deponien entsteht und so - wenn sich nichts ändern sollte - in jeder Generation von neuem, derart traurige Erkenntnisse bleiben uns nicht erspart. Der unappetitliche Gegenstand Müll wird von Disziplinen wie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften weitestgehend ausgespart, so Viales berechtigter Vorwurf. Nicht immer kann der Autor seinen Stoff humorig verpacken, ist doch die Verpackungsproblematik auch ein Steinchen im Umweltskandal: „Zur Orientierung der Konsumenten und um in den Wettstreit zwischen unterschiedlichen Produkten und Technologien ein Gleichheitskriterium einzuführen, sollten dem Verkaufspreis jeder Ware in der Tat die Umweltkosten ... die sie der Allgemeinheit auferlegt, aufgeschlagen werden.“

Unter dem Stichwort „Schule“ erfahren wir: „Es ist völlig falsch, während der Schulzeit das Wissen über die Natur - Blumen, Tiere, Seen, Flüsse, Meere, Berge, Vulkane usw. - gegen das Wissen über die vom Menschen geprägten Bereiche ... zu setzen. Wissen heißt begreifen, wie das eine auf das andere einwirkt - daß eine „Kultur“ ohne „Natur“ nicht existiert und mittlerweile auch keine Natur mehr ohne Kultur.“ Derselbe Abschnitt „Schule“ zeigt uns aber auch die nicht so selten auftauchende schriftstellerische Begabung Viales: „Die Verbindung von Auto und Wüste beispielsweise setzt nicht der Spot, der einen Wagen in schneller Fahrt durch den Sand zeigt, sondern sie besteht in dem Pesthauch der Emissionen des Stadtverkehrs ... Würde das Auto in seinem alltäglichen Kontext, dem Stadtverkehr, gezeigt, spräche es gegen sich selbst.“

Es ist also keinesfalls nur die Qualität des Sachbuchs, die die MegaMüllMaschine zur Pflichtlektüre auch in Schulen machen sollte, es ist auch die Durchdringung der Komplexität unserer technologisierten Gesellschaften. Keiner soll seinem Enkel sagen, er hätte „davon“ (auch) nichts gewußt ...

Daß „im Abspann“ auch die menschliche Tragödie der Wegwerfgesellschaft anklingt, in der Menschen zum Müll erklärt werden, denn was anderes ist ein nicht mehr vermittelbarer „Arbeitnehmer“ in dieser Logik als eine Ware mit dem Marktwert „Null“ oder darunter? Schließlich kostet ja seine Versorgung/Entsorgung eine Menge Geld ...

Bei einem so brisanten Thema sollte der Rezensent aber nicht in Resignation enden: Wir sind nur so lang Müll, wie wir es uns gefallen lassen!

Arno Steinwald


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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