Rezension

 

Kreislaufwirtschaft als Zukunftsmodell

Josef Riegler/Anton Moser u. a.: Ökosoziale Marktwirtschaft
Denken und Handeln in Kreisläufen.

Leopold Stocker Verlag, Graz 1996, 155 S.

 

Es ist schon erstaunlich, was häufig für originelle und anregende Ideen - gerade auch auf dem Gebiet des Umweltschutzes und der Ökologie - aus unserem kleinen Nachbarland Österreich zu uns dringen. Der noch geringe, weil späte Zwang zur Anpassung an das verkorkste Wirtschaftssystem der EU und die besonderen Bedingungen einer weitgehend vorherrschenden Hochgebirgslandschaft mit ihren spezifischen landwirtschaftlichen Strukturen mögen als Ursachen für das besonders in Umweltfragen zum Vorschein kommende eigenständige kreative Vermögen eines entsprechenden geistigen Potentials gelten. So nur ist es zu verstehen, daß ein konservativer Politiker des besagten Alpenlandes Zukunftsvisionen entwickelt, die in ihrer Konsequenz und Weitsichtigkeit geradezu „revolutionäre“ Züge anzunehmen beginnen. Dipl.-Ing. Josef Riegler, von 1989 bis 1991 Bundesparteiobmann der Österreichischen Volkspartei und Vizekanzler, unternimmt in einem wahrscheinlich von ihm initiierten Buch zusammen mit fünf weiteren Autoren den Versuch, die Idee der „Ökosozialen Marktwirtschaft“, vorzustellen. Bei diesem Konzept, das sich zum Ziel setzt, die Soziale Marktwirtschaft um eine ökologische Dimension zu erweitern, handelt es sich um den Versuch, eine Synthese von Ökonomie, sozialer Gerechtigkeit und Ökologie herzustellen. Geboren wurde dieses Konzept aus den Bemühungen um die Schaffung einer Zukunftsperspektive für die österreichische Landwirtschaft in den benachteiligten Lagen der Gebirgsregionen.

Dieser als „Ökosoziale Agrarpolitik“ entwickelte Ansatz für die Perspektive der österreichischen Landwirtschaft, bei dem es um das Aufzeigen von Lebenschancen für den ländlichen Raum geht, wurde durch seine Übertragung auf den gesamten sozialökonomischen Bereich zum Ausgangspunkt einer Vision, die in ihrer ganzen gesellschaftlichen, aber auch globalen Tragweite noch gar nicht vollständig erfaßt und gewürdigt werden kann.

Der Kerngedanke dieses Konzeptes ergibt sich aus der Notwendigkeit von Überlegungen, die darauf abzielen, den durch „Grenzüberschreitung“ („overshoot“) gekennzeichneten Umgang des Menschen mit der Natur, der zur Zerstörung der Lebensgrundlagen des Menschen führen muß, durch ein System der „Nachhaltigkeit“ („sustainability“), auch Kreislaufwirtschaft genannt, zu ersetzen. Den weltanschaulichen Hintergrund dieser Überlegung bildet die Kritik an der Einseitigkeit des durch die Aufklärung gespeisten Rationalismus, der für die derzeitige westliche Zivilisation bestimmend geworden ist. Die für die Naturaneignung und -zerstörung verantwortliche anthropozentrische Weltsicht soll durch die Notwendigkeit des Denkens in Systemzusammenhängen ersetzt werden. An die Stelle der Gerichtetheit des „mentalen Bewußtseins“ soll ein durch ganzheitliches Wahrnehmen gekennzeichnetes „integrales Bewußtsein“ als eine neue Entwicklungsstufe menschlichen Bewußtseins treten.

In der Überbewertung bewußtseinsmäßiger Prozesse bei der Herausbildung einer neuen Verhaltensweise, in der die Nachhaltigkeit und das Respektieren von Grenzen unserer natürlichen Lebensgrundlagen wieder zur Richtschnur unseres Handelns werden, liegt aber auch zugleich ein wesentlicher Schwachpunkt der Argumentation des Autors. Materielle Triebkräfte, die unabhängig und außerhalb unseres Bewußtseins diesen Prozeß des Umorientierens herbeiführen könnten, werden nicht genannt. Der Autor empfiehlt zwar als Instrument zum Umstieg auf eine „nachhaltige Gesellschaft“ die Mobilisierung des Eigeninteresses der Menschen. Die Kräfte des Marktes sollen für den Schutz der Umwelt nutzbar gemacht werden. „Internalisierung der externen Umweltkosten“ oder „Steuern durch Steuern“ sind in diesem Zusammenhang die entsprechenden Schlagworte. Der hierfür notwendige politische Wille aber setze, so der Autor, eine Mentalitätsveränderung voraus, d. h. eine Bewußtseinsveränderung steht am Anfang des Konzeptes. Doch ist es nur eine Frage der Mentalität, wenn Wachstumsklischees unsere Denkvorstellungen bestimmen? Die Hauptursache für den pathologischen Wachstumszwang der kapitalistischen Wirtschaft liegt ohne Zweifel im Zinsmechanismus begründet, denn das exponentielle Wachstum der Geldvermögen (Geld als Gutscheine auf Teile des Sozialprodukts verstanden) muß im kontinuierlichen Wachstum des Sozialproduktes seine Entsprechung finden, wenn die sozialen Folgen des kapitalistischen Gesellschaftssystems noch einigermaßen abgefangen werden sollen. Hier wäre also ein ganz wichtiger Hebel anzusetzen, wenn es darum geht, das Modell einer „Ökosozialen Marktwirtschaft“ zu entwickeln.

Eine wesentliche Vertiefung des Gegenstandes erfährt das Büchlein durch den Beitrag von Koautor Prof. Dr.-Ing. Anton Moser, Vorstand des Institutes für Biotechnologie an der TU-Graz. Das Denken und Handeln in Kreisläufen nach dem Vorbild der Natur steht im Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Seinem Ansatz liegt die Vorstellung eines übergreifenden Universalgesetzes zugrunde, das sich in den ökologischen Prinzipien, die mit Hilfe einer Systemanalyse der Ökosphäre erkennbar und formulierbar sind, widerspiegelt. Diese Ökoprinzipien (Selbstorganisation, Vielfalt, Vernetzung, Kreisläufe, Energiefluß, Flexibilität, Koevolution/Partnerschaftlichkeit, Kooperation/Miteinander, Dualität/Polarität, Nachhaltigkeit, Ganzheitlichkeit, Chaotische Elemente) sollen als Richtlinien zur Neuorientierung der Geselllschaft dienen. Der Grad der Ausgereiftheit seines Gesellschaftsentwurfes und die Konsequenz, mit der Anton Moser seine Ideen für die Zukunft unter Nutzung naturwissenschaftlicher Methoden entwickelt, zeichnet ihn deutlich gegenüber seinen Koautoren aus. Besonders sichtbar wird dieses Erfassen der Konsequenzen, die sich aus der Komplexität eines Denkens und Handelns in Kreisläufen ergeben, in seiner Beurteilung zukünftiger Bodenbesitzverhältnisse: „Der Boden dient dem Gemeinwohl, so daß es keinen erwerbbaren Besitz derartiger Allgemeingüter mehr geben kann.“ (S. 99, vgl. auch S.76)

Auch ist er sich im klaren darüber, daß die Selbstorganisation als Ökoprinzip immer von kleinen Einheiten ausgeht. Die Vision einer nachhaltig agierenden „Öko-Gesellschaft“ beschränkt sich also nicht nur auf Öko-Technologien, sondern geht mit einer stärkeren Regionalisierung des Wirtschaftslebens in überschaubaren Bereichen einher, weil erneuerbare Energiequellen und viele nachwachsende Rohstoffe dezentral anfallen. Kleinräumige Abläufe werden dadurch begünstigt, und lange Transportwege treten zurück. Genau diese komplexe Sicht, die den Autor auszeichnet, müßte jedes Kreislaufkonzept beinhalten, wenn es ernst genommen werden soll.

Weitere Autoren vertiefen jeweils bestimmte Seiten des Konzeptes der Ökosozialen Marktwirtschaft.

Dr. phil. Martin Bartenstein, als ÖVP-Vertreter seit 1995 Bundesminister für Umwelt, erläutert Details und Probleme der Ökologisierung des Steuersystems auf der Grundlage des Ansatzes der Ökosozialen Marktwirtschaft, daß die gesunde Umwelt ein knappes Gut darstellt, das einen Marktpreis hat und daher am besten mit marktwirtschaftlichen Instrumenten geregelt werden sollte.

Mag. Wilhelm Molterer, seit 1994 Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, entwirft, anknüpfend an die Vorreiterrolle Österreichs in der EU im Umgang mit natürlichen Ressourcen, eine neue Konzeption zur Ökologisierung seines Landes.

Dipl.-Ing. Horst Pöchhacker, seit 1982 Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der Allgemeine Baugesellschaft - A. Porr AG, betont die Ausgewogenheit zwischen dem Sozialen, dem Ökologischen und dem Marktwirtschaftlichen und setzt auf eine neue Qualität von Journalisten und Politikern, die der Ökosozialen Marktwirtschaft zum Durchbruch verhelfen werden.

Dkfm. Dr. Werner Tessmar-Pfohl, Geschäftsführer der Sattler Textilwerke, vertritt hier den Standpunkt der Wirtschaft. Er setzt sich kritisch mit dem „Grenzwertfetischismus“ auseinander und plädiert für Marktanreize statt Gesetze. Außerdem macht er darauf aufmerksam, daß Umweltschutz international akkordiert sein muß, um Absiedelungen von Industriebetrieben in Länder ohne Öko-Auflagen zu verhindern.

Was die ökologische Praxis anbelangt, kann Österreich sicher als ausgesprochen fortschrittlich gelten. Fakten wie das Tiertransportgesetz, die Transitregelungen, der Biobauernboom, die hohen Umweltstandards, die gepflegte Kulturlandschaft oder der Kampf gegen die Kernkraft haben in Europa bereits Signalwirkung. Doch auch was die theoretische Seite einer „politischen Ökologie“ anbelangt, spielt Österreich anscheinend eine erstaunliche Vorreiterrolle. Davon legt zumindest das vorliegende, von dem renommierten Leopold Stocker Verlag herausgegebene kleine Büchlein zweifellos Zeugnis ab. Auffällig ist, daß es sich bei den in diesem Büchlein zu Wort meldenden namhaften Persönlichkeiten der österreichischen Gesellschaft um ausschließlich konservativ argumentierende Autoren handelt. Die Kritik an der verhängnisvollen Emanzipation des Menschen von der Natur auf der Grundlage des durch die Aufklärung gespeisten Rationalismus und dem damit einhergehenden mechanistischen Weltbild durchzieht das Buch wie ein roter Faden. Dennoch weist das Buch in einer einzigartigen Weise nach vorn und kann als Beispiel dafür gelten, daß Begriffe wie „reaktionär“ und „konservativ“, die oft gleichgesetzt werden, nicht identisch sind.

In Deutschland ist die große, sich selbst als „konservativ“ betrachtende Volkspartei von den hier erörterten Positionen meilenweit entfernt. Wer würde hier schon die Vision einer Bodenreform entwickeln, wo doch einige „konservative“, ja selbst liberale Politiker gerade damit beschäftigt sind, den ehemaligen ostelbischen Gutsherren in den neuen Bundesländern wieder zu ihren Besitzständen zu verhelfen. In Berlin kann es sich der verkehrspolitische Fraktionssprecher dieser Partei sogar leisten, die drastischen Preiserhöhungen für die Umweltkarte - seit 1994 hat sich ihr Preis nahezu verdoppelt und die Zahl der Bahn- und Bus-Benutzer kontinuierlich abgenommen - mit dem Hinweis zu rechtfertigen, dafür als Gegenleistung mehr „Qualität und Ambiente“ zu bieten und die Möglichkeit zu eröffnen, in der U-Bahn das Frühstücksfernsehen konsumieren zu können. Wachstum, Wachstum über alles ...

Für den österreichischen Konservatismus trifft das Klischee jedenfalls nicht zu, nur als politisches und ideologisches Instrument zur Stabilisierung ungerechter gesellschaftlicher Verteilungsverhältnisse zu dienen. In Österreich scheint die Initiative, was die Entwicklung realistischer gesellschaftlicher Zukunftsvisionen anbelangt, eindeutig von der konservativen Seite auszugehen. Wollen wir sehen, was sich daraus entwickelt.

Christian Böttger


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite