Rezension

 

„Unser neues Gottesbild: die Moderne“

Elisabeth M. Hajos/Leopold Zahn:
Berliner Architektur 1919 bis 1929
10 Jahre Architektur der Moderne.

Gebr. Mann Verlag, Neuauflage Berlin 1996, 145 S.

 

„Man fühlt sich wie im Fiebertraum“, schrieb Walther Rathenau 1902 über die Berliner Architektur, „wenn man eine der großen Hauptstraßen des Westens zu durcheilen gezwungen ist. Hier ein assyrischer Tempelbau, daneben ein Patrizierhaus aus Nürnberg, weiter ein Stück Versailles, dann Reminiszenzen vom Broadway, von Italien, von Egypten - entsetzliche Frühgeburten polytechnischer Bierphantasien.“ Ein Eindruck, der alles andere als zufällig war, kennzeichnet er doch den vorherrschenden Eklektizismus und Historismus.

Sind es wenige Jahre später erst einzelne Bauten, die sich von dieser Tradition lösen konnten, so die Moabiter Montagehalle der AEG-Turbinenfabrik oder die Fassade des Warenhauses Wertheim, bildet sich nach Krieg, Zusammenbruch des Kaisereiches und Revolution ein neuer Stil heraus - die Moderne.

Der vorliegende Band, die mit einem Nachwort von Michael Neumann erweiterte Neuauflage von 1929, stellt diese Abkehr dar. Eine Abkehr, die Reichskunstwart und Kunsthistoriker Edwin Redslob in dem Vorwort zur Erstausgabe folgendermaßen kennzeichnete: „Gestaltung, nicht Nachahmung: in dieser Gegenüberstellung drückt sich der Kunstwille unserer Gegenwart aus. Das bedeutet für den Baukünstler: den Sinn der Arbeit nicht mehr einseitig in der Wiederholung alter Stilformen zu sehen, wie dies die Epigonenzeit tat, das verbietet aber auch die äußerliche Nachahmung von Ingenieurmotiven, welche die Mode der Zeit als Ersatz für die verpönte Stilimitation erfand.“

Berlin als Zentrum dieses Umbruchs, auch das kein Zufall, war doch Berlin nach der Reichsgründung schon zur Metropole von Industrie und Verkehr geworden. Die Metropole der Kunst sollte in den 20er Jahren folgen. Beeinflußt wurde diese Entwicklung von der Erfahrung mit dem Labyrinth der Großstadt, der Konfrontation mit Hektik, Menschenmassen, Arbeitslosigkeit und Elend. Architekten begegneten einer Stadt, die sich immer weiter in ihr Umland fraß. Sie sahen Wohnungsnot, eintönige Mietskasernen und Hinterhöfe. Eine hektische unkoordinierte Bautätigkeit stand einer hilflosen, fast fehlenden Stadtplanung gegenüber. Diese Eindrücke waren kombiniert mit der technischen Revolution, angefangen beim Phonographen bis zum Radio, über Trambahnen und Luftschiff.

Wie fruchtbar die 20er Jahre künstlerisch waren, vermittelt dieses Buch über die „10 Jahre Architektur der Moderne“. Es stellt eine Zwischenbilanz der baulichen Entwicklung der Nachkriegszeit in Berlin dar. Herausgeber waren Elisabeth M. Hajos und der Wiener Kunsthistoriker Leopold Zahn. Über 50 Architekten fanden mit ihren Arbeiten Aufnahme in den Band. Das Autorenpaar stellte bemerkenswerterweise gleichberechtigt nebeneinander das Kino und das Einfamilienhaus, Fabrikgebäude und Kirchen. Erstklassige Fotografien, insbesondere die Nacht- sowie die Innenaufnahmen unterstützen oder verstärken gar die Wirkung der Architektur in kongenialer Weise. Abbildungen von Treppenhäusern, lassen diese wie die Kulissen eines expressionistischen Films erscheinen.

Der Leser findet hier die wichtigsten Meilensteine der Architektur jener Zeit, wie das Mossehaus von Mendelsohn, Bruno Tauts Hufeisensiedlung Britz und das zentrale Werk des gebauten Expressionismus, das Große Schauspielhaus von Hans Poelzig.

Das Bild von der Moderne vor dem Zweiten Weltkrieg, wie in diesem Buch ersichtlich, war weit gefächert. Da sind zum einen Kleins Einfamilienhäuser von 1923/24, mit klassizistischen Zügen, bei denen die „kühle Elegance von Empire-Formen auf das moderne Wohnhaus angewandt“ wurde. Tauts Gewerkschaftshaus in der Wallstraße von 1923, bei dem „das bisher schamhaft verhüllte Eisengerippe durch Übereckstellung der Pfeiler zum Anlaß künstlerischer Gestaltung“ gemacht wurde. Marchs Modell für das Deutsche Sportforum von 1928. Mies van der Rohes Hochhausmodelle. Oskar Kaufmanns Komödie von 1924, mit einem „rokokohaften Reichtum an dekorativen Formen“. Walter Gropius Blockhaus Sommerfeld von 1922. Erwin Gutkinds Vorgriff auf industrielle Fertigung auch für Einfamilienhäuser mit dem Modell für ein Beton-Montage-Haus mit flachen terrassenartigen Dachabsätzen von 1924. Da sind die Lichtspielhäuser Capitol am Zoo, Titaniapalast und Universum, die deutlich das Neonlicht in die architektonische Gestaltung einbeziehen.

Letztlich wird hier auch offensichtlich, welchen Einschnitt die Jahre 1933 bis 1945 bewirkten. Maßgebliche Architekten verließen Deutschland, der verordnetete Geschmack tendierte zum Neoklassizismus - obwohl auch sehr moderne Pläne zur Ausführung gelangten, wie das KdF-Heim auf Rügen oder die Fabrikgebäude für den KdF-Wagen. Nach dem Krieg wurde allerdings nicht wieder an die zwanziger Jahre angeknüpft. So ist es wohl eine Ironie der Geschichte, daß der Untergang des Dritten Reiches gerade dem radikalsten Teil der Moderne zum Durchbruch verhalf. Berliner Bauten wie das Kulturforum, die Bauten zur Bauausstellung und die Gropiusstadt sind Zeugen dieser Entwicklung, in der die Radikalmoderne dominierte. Ein Stil, der wie keiner vor ihm Bezüge zu Geschichte und Region ablehnte. Kennzeichnend hierfür die Äußerung von Le Corbusier, wonach seine Häuser gleich geeignet sind „für Eskimos und Sizilianer, und sie werden im nächsten Jahrhundert so gültig sein wie in diesem“. Die Anfänge, wie die Hufeisensiedlung Britz, erschienen daneben viel zu klein, zu klein-bürgerlich.

Von den frühen Jahren blieb auch deshalb nicht viel, da die wirtschaftliche und politische Lage im Reich bewirkte, daß ein Großteil der Entwürfe nie realisiert wurde. Gerade die großen Würfe wie Hans Poelzigs Königsplatz oder Mies van der Rohes Alexanderplatz blieben nur Papier. Projekte, die zwar viel versprachen, schließlich aber ein Versprechen blieben, das nicht eingelöst wurde.

Kathrin Chod


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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