Rezension

 

Ein Nasrani unter Pilgern und Beduinen

Charles M. Doughty:
„In Arabiens Wüsten“ - Ein Christ entdeckt den Vorderen Orient.

Herausgegeben und eingeleitet von Uwe Pfullmann.
edition ost, Berlin 1996, 396 S.

 

Wieder ein Reisebuch? Ja, ein Report über eine echte Abenteuerreise, die ein 33jähriger Engländer, statt Offizier Geologe geworden, vor 120 Jahren „in Arabiens Wüsten“ wagt. Das Arabische hat er sich binnen zwölf Monaten angeeignet.

In Damaskus, wo damals ein Gouverneur des osmanischen Sultans noch gebietet, weigert sich der britische Konsul, solchem Abenteuer Hilfe und Schutz zu gewähren. Der junge Geologe bleibt indessen hartnäckig und zieht bald mit Pilgern aus Persien, der letzten Gruppe einer großen Haddsch-Karawane, nach Süden. Das wirkliche Abenteuer beginnt, denn Charles Montagu Doughty will nicht wie der Schweizer Burckhardt (im Gewand eines moslemischen Gelehrten) oder der Landsmann Richard Burton (als afghanischer Pilger gekleidet) die Kaaba umschreiten, er will Mekka und Medina fernbleiben, weil er sich als Christ bekennt. Sein Ziel sind kaum erforschte Regionen auf der Halbinsel. Die erste Etappe ist Mada' in Salih, wo er Denkmäler und Inschriften entdeckt, die Siedlungen der südarabischen Nabatäer zweihundert Jahre vor der Verkündung des Islam bezeugen. Wer mochte schon voraussagen, daß Mada' in Salih einmal Station auf der alten, im Ersten Weltkrieg zerstörten Hedschas-Eisenbahn sein würde?

Doughty notiert: „Das Hochland besteht nicht nur aus Sand, auch ausgedörrte Erde gibt es, die kaum vom Regen benetzt wird. Alle sanften Bodenwellen sind Sand; daneben gibt es von Felsbrocken übersäte Heide und viel groben Kies, wo der Wüstenboden kahlgefegt ist von den ewigen Winden.“

Langsam und mühsam kann man das geologische Gesicht des Landes entschleiern. Manchmal suchen Karawanen tagelang in frostigen Höhen, mehr als 1 000 m über dem Meeresspiegel, ihren Weg durch Gebiete, in denen der Auswurf erloschener Vulkane zu Stein geworden ist. Da sind verläßliche Reiseführer Gold wert, steuern sie doch wie ein Lotse Menschen, Reit- und Lasttiere zu Rastplätzen und Wasserstellen oder Brunnen. Schon in den ersten Wochen mußte man 160 km reiten, um ein Wasserloch zu erreichen.

In der Wüste ist Gastfreundschaft Gesetz. Ebenso hat man mit plötzlichen Überfällen zu rechnen, weil das Leben der Stämme oft von wütenden Feindschaften zerrissen ist. Außerdem macht der Christ Doughty bittere Erfahrungen mit Anhängern von Mohammed Ibn Abdel Wahhab, die rigoros orthodox die Gebote eines „reinen Islam“ praktizieren. Dem „Inglizi“ schlägt tiefes Mißtrauen entgegen, nicht selten Drohungen gegenüber dem „Nasrani“, ein Wort, das verletzen soll wie das „Nigger“ aus dem Munde von Rassisten in Afrika und Amerika. Menschenkenntnis, Selbstbeherrschung und Toleranz werden auf harte Proben gestellt. Fast überlebenswichtig erweisen sich Doughtys medizinische Kenntnisse, seine Medikamente, seine Erfolge als „hakim“ (auch ein Gerhard Rohlfs hatte damit im Maghreb und in Nordost-Afrika Autorität gewonnen).

Man schreibt das Jahr 1877. Rußland führt auf und um den Balkan Krieg gegen die Türkei. Es muß schließlich einen Frieden akzeptieren, bei dem Otto von Bismarck ein Schiedsrichter sein wird. Arabien-Karten, die der Geologe Doughty gut gebrauchen könnte, sind noch ein ferner Traum.

Mit wechselnden Gefährten, auf schier endlosen Pfaden, von Durst und Hoffen auf die nächste Wasserstelle wachgehalten und doch wieder im Sattel einschlafend, zieht Doughty weiter. Er sieht Städte wie Chaibar, Anaiza, Buraida, Taima oder Taif und schildert mit erstaunlicher Detailtreue. Längere Zeit hält er sich in Hayil an der Karawanenstraße von Er-Riad zum Euphrat auf. Dort gibt es Palmengärten, eine arabische Fürstenburg, einen 200 Schritt langen Markt mit 130 Läden. Und dort heißt Emir Mohammed Ibn Raschid, rücksichtsloser, doch aufgeklärter Despot, den Fremden willkommen und läßt ihm spontan die Geschichte von Issa bin Miriam (Jesus) aus einem Buch vorlesen. Auch der Gast muß beweisen, daß er des Arabischen in Wort und Schrift kundig ist. Ihm werden Bewässerungsanlagen, Bäume, Gewürzpflanzen und eine ganze Herde von Oryx-Gazellen gezeigt. Ibn Raschid und sein Neffe haben manche Frage an Doughty: „Was ist der Telegraf?“, „Was ist Glas?“, „Kaufen sich bei Euch Bessergestellte auch Tscherkessen-Frauen?“, „Woher kommt das Petroleum in unserer Lampe?“...

Der Nasrani antwortet: „... aus der Neuen Welt“. Doch der Herr über 30 Oasen, fünf Städte und ein Dutzend kleinere Siedlungen wird nicht mehr erfahren, daß östlich seiner Residenz, in der Hasa-Region, das Schwarze Gold im Schoß der Wüste ruht, daß dessen Förderung des Emirs Gegner, die Saudis (jetzt eine 5 000köpfige Familie) zu den Reichsten unter der Sonne machen sollte.

Dr. Uwe Pfullmann hat Doughtys Buch mit einer instruktiven Einleitung sowie Anmerkungen versehen, die Begriffe aus Geschichte und Sprache des Arabischen Ostens erläutern. Die Lektüre erleichtert es, die Konturen einer anderen Lebenswelt besser zu erkennen und noch heute Erlebbares zu verstehen. Das Buch, in der Cognoscere-Reihe des Berliner Verlages „edition ost“ erschienen, kann dabei helfen, die fundamentalen Veränderungen und die klaffenden gesellschaftlichen Kontraste zu begreifen, die das saudische Erdöl-Reich charakterisieren und bereits erschüttern.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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