Rezension

 

Eine Prachtausgabe von Format

Erster Deutscher Schriftstellerkongreß 4.-8. Oktober 1947
Protokoll und Dokumente.

Herausgegeben von Ursula Reinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger.
Aufbau-Verlag, Berlin 1997, 543 S.

 

Es mußte erst ein halbes Jahrhundert vergehen, ehe die letzten Geheimnisse um den Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß - die erste und für lange Zeit letzte gesamtdeutsche kulturpolitische Veranstaltung der Nachkriegsperiode - gelüftet wurden. Jetzt kann jeder Interessierte in einer mit 45 Abbildungen illustrierten Ausgabe nachlesen, was in den fünf Oktobertagen des Jahres 1947 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters an Themen erörtert, an Positionen vorgetragen und an Auseinandersetzungen geführt wurde. „Das Treffen stand an einem Wendepunkt: am Ende der ersten, noch offenen Phase der Nachkriegsentwicklung und am Beginn der zweiten, der der Konfrontation des kalten Krieges, die für viele Jahre bestimmend werden sollte“, steht auf Seite 14 der Einleitung zu lesen. „Leicht ist es heute, von Illusionen zu reden, wenn man das Bemühen von Schriftstellern beobachtet, den Riß zu überspannen, der damals gezogen wurde. Veranstalter und Teilnehmer sahen sich in einem unabgeschlossenen Prozeß, in dem ihr Einsatz verlangt war. Ihr Versuch ist auch in seinem Ungenügen ein bedeutendes Zeitzeugnis.“

Die Herausgeber, profilierte wissenschaftliche Mitarbeiter des einstigen Zentralinstituts für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, haben anerkennenswerte Präzisionsarbeit geleistet. Sie untergliederten ihre Publikation thematisch in drei große Komplexe: Eine Abhandlung von Ursula Reinhold und Dieter Schlenstedt führt, noch ehe das Protokoll der Tagung im Deutschen Theater aufgeschlagen wird, auf über 60 Seiten wissenschaftlich fundiert, differenziert und im geschichtlichen Rückblick so objektiv wie möglich in „Vorgeschichte, Umfeld, Nachgeschichte des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses“ ein. Dieses Vorgehen ist nicht allein durch den großen zeitlichen Abstand gerechtfertigt, es gewinnt auch durch den Umstand, daß sofort nach der Wiedervereinigung Deutschlands Kontroversen zwischen den ehemaligen Schriftstellerverbänden der DDR und der Bundesrepublik, zwischen PEN-Ost und PEN-West aufflammten, aktuelle Bezüge.

Den Hauptteil der Publikation bilden naturgemäß die Protokolle zu den inhaltlichen Schwerpunkten und zum Arbeitsablauf der Tagung: die Reden zur Begrüßung der Kongreßteilnehmer, die Ansprachen zur öffentlichen Gedenkfeier „Tod und Hoffnung“, die Berichte über die geistige Haltung der Schriftsteller drinnen und draußen unter dem Thema „Literatur und Gewalt“, „Antrag und Debatte zur Ausbürgerung“, die Diskussion um „Geistige Fragen. Literatur und Gesellschaft“, die Debatte um „Geistige Fragen. Aktuelle Probleme der deutschen Literaturentwicklung“, die Auseinandersetzung um „wirtschaftliche und rechtliche Fragen“ der schriftstellerischen Tätigkeit sowie die „Schlußansprachen und Entschließungen“. Aufschlußreich in diesem Teil sind nicht nur unterschiedliche, zum Teil auch gegensätzliche Positionen deutscher und ausländischer Autoren - etwa die berühmte Debatte zwischen sowjetischen Schriftstellern und dem amerikanischen Journalisten Melvin J. Lasky, die Geschichte machen sollte -, sondern auch die Ansprachen beim Empfang der Sowjetischen Militäradministration, beim Empfang durch die britisch lizenzierten Verleger Berlins, beim Empfang des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und beim Empfang durch die amerikanisch lizenzierten Verleger Berlins. Wer Belege für die Einflußnahme der Politik auf das literarische Schaffen der damaligen Zeit und Anhaltspunkte für geistige Differenzierungen innerhalb der schriftstellerischen Intelligenz im besetzten Deutschland sucht, findet sie speziell in den Protokollen.

Der dritte Teil enthält unter dem Titel „Dokumente und Verzeichnisse“ allerlei Interessantes: den Einladungsbrief, Grüße an den Kongreß von Arnold Zweig, Georg Lukács, Kurt Hiller, Oskar Maria Graf, Leonhard Frank, Hans Rehfisch, Albert Einstein, Oscar Maurus Fontana, Ernst Bloch und Theodor Plivier, die Entschließungen „Resolution gegen den Antisemitismus“, „Manifest des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses“ und „Resolution des Schriftstellerkongresses“ sowie Verzeichnisse mit der Teilnehmerliste, Personenregister, biographischen und bibliographischen Notizen, zeitgenössischen Abdrucken von Kongreßbeiträgen, zeitgenössischen Berichten, Quellen- und Bildnachweis.

Verlag und Herausgebern gebührt für diese fundierte wissenschaftliche Prachtausgabe ein Dankeschön.

Klaus Ziermann


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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