Rezension

 

Oh Gott, sind wir blöd

Manfred Buchwald: Medien-Demokratie - auf dem Weg zum entmündigten Bürger

Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1997, 96 S.

 

„Flächendeckende Volksverdummung“ (Roman Herzog) ist angesagt. Sie kommt daher in Form vielfältiger Möglichkeiten für Herrn und Frau Jedermann, sich ungehindert zu unterrichten, um als oft beschworener mündiger Bürger teilzuhaben am gesellschaftlichen Leben, informiert zu sein, entscheidungsfähig gar und keinesfalls manipuliert.

Dieses aus den Anfängen demokratischer Gesellschaftsvorstellungen stammende Idealbild - dem möglicherweise einige Außenseiter in achtenswerter Sturheit verhaftet bleiben - ist längst selbst aus dem Reich der Märchen entfernt und (clever, clever) dem System der Verdummung als wichtiger (wenn nicht wichtigster) Wirkstoff einverleibt worden. Auf diesen mit fun gemischten pluralen Medien-Leim kriechen fast alle.

„Medienfragen waren und sind natürlich immer auch Machtfragen“ schreibt Wilhelm von Sternburg dem Buchwald-Bericht vorweg, und konstatiert, „die Realitäten des gesellschaftlichen Lebens verschwinden hinter dem Schleier von Bilder-, Musik- und Werbecliptep-pichen, die Verpackung fesselt die Kreativität der Produzenten, nicht der Inhalt. Der unübersehbare Verfall der Medien wird zum Qualitätssprung der Demokratie.“ Die Opfer dieses reaktionären Prozesses „schweigen und bezahlen auch noch die Selbstentmündigung. Wir amüsieren uns vielleicht nicht gerade zu Tode, wie Neil Postman meint, aber wir bringen uns um den Verstand.“ Klar doch. Das hat Methode - und zu fragen ist: Wem nützt dies? Dazu gibt Manfred Buchwalds Analyse der Medien-Demokratie einige klare, bitterböse Antworten.

In der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Medienrevolution kommt er zwar zu dem salomonischen Urteil, daß noch nicht abzusehen ist, „ob die Internationalisierung der elektronischen Medientechnologie eine die Menschen verbindende Weltkommunikation ermöglichen oder zur Paralysierung autochthoner Kulturen und tradierter Sozialgefüge führen wird“.

Jedoch mit Blick auf das von ihm betrachtete deutsche Mediengehege scheint wohl eher die Paralysierung das Rennen zu machen. Zahlen und Verhaltensstudien über das Millionenheer der Konsumenten sowie die gelegentlichen Absichtserklärungen der Mediengeneräle (gern auch Macher genannt - mit „Geschäfte“ davor eine präzise Benennung) belegen die unumschränkte, kaum kontrollierte Herrschaft der Media-Multis beim „Ausverkauf der deutschen Öffentlichkeit. (...) Die Drahtzieher sitzen in den Konzernzentralen, und frei gewählte Abgeordnete in Bund und Ländern, Minister und Regierungschefs sind ihre Marionetten.“ Nützlich beim Vertuschen, Tricksen, Täuschen und natürlich beteiligt am Zugewinn von Macht und Geld. Etliche Vorstöße aus konservativen und liberalen Wagenburgen auf Bundes- und Landesebene gegen die Öffentlich-Rechtlichen (auch sie keineswegs weiße Raben, aber doch traditionell einem gesellschaftlichen und kulturellen Integrationsgedanken verpflichtet, der ja auch immer mal wieder Programmgestalt annimmt) deuten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß kommerzielle Interessen allemal vor proklamierten demokratischen Werten wie Informationsfreiheit und Meinungsvielfalt rangieren. Die Auswirkungen der jetzt schon irreparablen Situation auf die Gesellschaft führen dazu, daß „an die Stelle des Staatsbürgers der Konsument (tritt), an die Stelle des gesellschaftlichen Dialogs die Marktstrategie, an die Stelle der politischen (Mit-)Entscheidung der Kaufentscheid. Damit könnte das Ende der Aufklärung eingeleitet sein.“ Könnte ist gut. Lizenzen und Frequenzen sind in sicheren Händen. Die Mutterzellen wuchern, metastöse Spartenkanäle und zielgenaue Magazinchen verbreiten Infotainment - der mündige Bürger gibt in der Tat seinen Geist auf. Meist noch mit dem schönen beruhigenden Gefühl, sich ganz eigenständig für das Richtige und Gute und Schöne und so weiter entschieden zu haben. Nicht mehr weit die Zeit, wo selbst der Wetterbericht als Spezial- und also Herrschaftswissen ver- und sogar willig gekauft wird. Perfekt.

Nochmal die Frage und immer wieder: Wem nützt dies wohl? Buchwald wundert sich: „Es ist erstaunlich, daß es in Deutschland heute eine historisch einzigartige Kapitalkumulation, eine Aushöhlung der Tarifautonomie, einen rigiden Abbau sozialer Leistungen und ein Millionenheer von Arbeitslosen gibt und daß aus dieser höchst brisanten Gemengelage (zumindest bisher und anders als in der Weimarer Republik) dennoch kein explosives Potential erwächst, wohl aber eine Dreiklassengesellschaft aus Besitzenden, Arbeitenden und Arbeitslosen.“ Mithin eine Polarisierung zwischen Arm und Reich, die möglicherweise nicht auf alle Zeit friedlich folgenlos bleibt. Dem gilt es vorzubeugen, und so bietet „die Medien-Demokratie (...) genügend Sedativa und Psychopharmaka an, um die Massen friedlich zu vergnügen und versöhnlich einzuschläfern. Jedermann schluckt diese süßen Pillen täglich in Überdosen und nimmt (bisher) nicht wahr, daß er längst vom Subjekt unserer Verfassung zum Objekt nicht durchschauter Strategien geworden ist.“ Der Volksmund nennt so was Verblödung.

Anne Mann


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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