Rezension

 

Eine Wanze bleibt eine Wanze

Timothy Garton Ash: Die Akte „Romeo“
Persönliche Geschichte.

Aus dem Englischen von Udo Rennert.
Carl Hanser, München 1997, 270 S.

 

Als der Brite Timothy Garton Ash 1980 ein Forschungsstipendium an der Ostberliner Humboldt-Universität erhält, weiß er noch nicht, was da alles auf ihn zukommt.

Aus wissenschaftlichem Interesse durchforstet er die DDR-Archive und befragt zahlreiche Menschen nach ihrem Werdegang und nach ihrer Ansicht zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in ihrem Staat. Dadurch wird das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auf ihn aufmerksam, das ohnehin beständig vermutet, daß alle ausländischen Besucher, insbesondere Journalisten und Wissenschaftler, Spione seien. Bei Ash geht das MfS davon aus, daß er für den britischen Geheimdienst arbeitet. So abwegig war die Vermutung des MfS gar nicht, denn eigentlich sollte Ash für diesen Dienst arbeiten, hatte das aber schließlich abgelehnt.

Das MfS legt über ihn eine Akte unter dem sinnigen Namen „Romeo“ an. Für die Staatssicherheit wird er zu einem „gefährlichen Fall“, als er u. a. über die revolutionären Streikbewegungen 1980 aus Polen berichtet und 1981 ein Vorabdruck seines kritischen Buches über die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR und ihres Unterdrückungsapparates im Magazin „Der Spiegel“ erscheint. Nunmehr setzt man auf ihn noch mehr Spitzel an. Er wird mit wichtigen und interessanten Persönlichkeiten der DDR bekannt gemacht, die allerdings nur die eine Aufgabe haben, Ash zu überwachen und ihn auszuhorchen. 1982 wird er als „reaktionär und konterrevolutionär“ aus der DDR ausgewiesen.

Nach der Wende kehrt er nach Ostdeutschland zurück und nimmt Einsicht in seine umfangreiche Stasiakte. Zunächst ist er erschüttert, wer ihn alles beobachtet und über ihn berichtet hat, und zwar vor allen Dingen von jenen Menschen, denen er einst so vertraut hatte. Dann sucht er die Mehrzahl dieser Leute auf und befragt sie nach ihren Motiven. Detalliert und äußerst interessant gibt der Autor hier ein wichtiges Stück der Zeitgeschichte der DDR wieder. Er erfährt eine völlig ablehnende Haltung bei einigen dieser Personen, aber auch viel Einsicht. Nun festigt sich seine Meinung: „Nur die Opfer haben das Recht zu vergeben.“

Er vergleicht die Arbeitsweise der Staatssicherheit mit der anderer Geheimdienste, insbesondere des britischen, und meint, daß im Prinzip überall nach den gleichen Methoden verfahren wird. Er sagt: „Eine Wanze ist eine Wanze, ob Ost oder West.“

Und er geht zum Schluß seines Buches einer äußerst wichtigen Frage nach, die für die Bewältigung der Geschichte der DDR auch heute noch von großer Bedeutung ist: Unterstanden die Geheimdienste und die Vielzahl ihrer Angestellten überhaupt einer parlamentarischen Kontrolle? Er verneint das mit Recht und schreibt: „Diese Herren sind umgeben von einer Aura heimlicher Macht: einer Macht, die aus Geheimwissen kommt, schon immer aus Geheimwissen gekommen ist und auch in Zukunft aus Geheimwissen kommen wird.“

Die Akte „Romeo“ ist ohne Zweifel ein gutes, interessantes Buch, das ein Stück DDR-Geschichte aufhellt. Es ist für meine Begriffe allerdings mit allzu vielen Details überladen, die sich im Prinzip ja immer wiederholen. Und es unterlaufen ihm auch Fehler, wenn er z. B. schreibt, daß einer seiner IM den Vaterländischen Verdienstorden in Silber und 50Mark erhielt. Da dürfte eine oder mehrere Nullen an dem Betrag fehlen.

Timothy Garton Ash, 1955 geboren, ist Dozent für europäische Zeitgeschichte am St.Antony's College der Universität Oxford. Er hat mehrere Romane geschrieben und veröffentlicht regelmäßig Essays und Reportagen in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften in Großbritannien.

Jens Loock


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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