Rezension

 

Hauptsache, die Kohlen stimmen

Stella Tillyard: Aristokratinnen
Vier Schwestern, die ein Jahrhundert prägten.

Aus dem Englischen von Justine Hubert.
Rütten & Loening, Berlin 1996, 504 S.

 

Alles beginnt damit, daß Frankreichs König Louis XIV. „le roi-soleil“, der „Sonnenkönig“, Diplomaten und Höflinge nach England schickt, um einen Vertrag zur friedlichen Koexistenz zwischen Frankreich und England auszuhandeln, der 1670 unterzeichnet wird. Mit dabei die zwanzigjährige Louise de Kéroualle. Was immer ihre Mission auch sein sollte, sie jedenfalls verdrängt die Mätresse des englischen Königs Charles II., „leistete über viele Jahre dem König, ihrem Land und sich selbst wackere Dienste“. 1672 wird ihr Sohn Charles (als jüngster von vielen illegitimen Söhnen Charles’ II. geboren). Um die uneheliche Geburt zu übertünchen, wird der Knabe unter anderem zum Herzog von Lennox (Schottland), zum Grafen von March (englischer Hochadel) und zum Herzog von Richmond ernannt. Louise wird von Charles II. zur Herzogin von Portsmouth gemacht. Von Louis XIV. erhält sie für ihre Verdienste um sein Königreich Ländereien der Stuarts in Frankreich, zwei Schlösser mit Grund und Boden.

Nun bringen solche Titel, mögen sie noch so wohlklingen, rein gar nichts ein. Das weiß auch der englische König, vermacht dem Buben eine Leibrente und erteilt ihm darüber hinaus das Recht, einen bestimmten Geldbetrag von in Newcastle geschürfter Kohle einzunehmen. Und der wächst mit der ständig steigenden Kohleförderung entsprechend an und vermehrt den Reichtum derer von Richmond.

„Der Herzog von Richmond rafft so viel für sich selbst weg, wie für den Unterhalt von zweitausend Armen und Alten benötigt würde“, äußert sich ein Radikaler in den 1790er Jahren.

Nach dem Tod Charles II. im Jahr 1685 zieht Charles Lennox wieder zu seiner Mutter nach Frankreich, doch das Geld aus der Kohle von England möchte er nicht missen, kehrt also dorthin zurück.

Er treibt sich als Weltenbummler herum, ist in Paris ebenso zu Hause wie in London, verliert beim Kartenspiel immense Summen, steht besonders bei dem irischen Grafen von Cadogan in der Schuld. Um die zu tilgen, verheiratet er kurzerhand seinen Erben, den Grafen von March, mit Cadogans Tochter Sarah (deren Mitgift wird um 5000 Pfund reduziert, was einen Teil der Schulden ausgleicht). Sie ist dreizehn, ihr Mann Charles achtzehn. Der ist empört, kann sich aber gegen die beiden Väter nicht wehren, geht nach der erzwungenen Trauung sofort auf seine geplante Bildungsreise, Sarah kehrt unberührt zurück in elterliche Obhut.

Drei Jahre später kommt Charles zurück, geht natürlich nicht zu seiner „Frau“, verliebt sich statt dessen während eines Theaterbesuches in eine Schönheit - und siehe da, es ist seine ihm Angetraute. Wer meint da noch, daß kitschige Trivialromane nicht das wahre Leben darstellen?

Fakt ist, daß der zweite Herzog von Richmond (später Kabinettsminister) und Sarah über beide Ohren verliebt waren und es Zeit ihres Lebens bleiben. Sie bekommen zwölf Kinder, von denen allerdings nur sieben das Erwachsenenalter erreichen. Ein Sohn Charles' (später der dritte Herzog von Richmond) wird 1735 geboren, ein weiterer Sohn George erblickt 1737 das Licht der Welt, Cecilia, geboren 1750, stirbt 19jährig.

Caroline (*1723), Emily (*1731), Louisa (*1743), Sarah (*1745), sind die Lennox-Schwestern, an deren Leben und Schicksal sich fast ein ganzes Jahrhundert mit seiner geschichtlichen Entwicklung ablesen läßt.

Die Lennox-Kinder wachsen zweisprachig auf, beherrschen Englisch wie Französisch, sie sind nicht nur reich, sondern auch hoch gebildet. Ihre soziale und politische Stellung eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich mit den neuesten Philosophien, Büchern und Theaterstücken zu beschäftigen. Sie lernen Denker, Mediziner, Künstler kennen. Die Schwestern leben in der Blütezeit der Aufklärung, sie werden mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und der Französischen Revolution konfrontiert, mit Kriegen in Europa und beginnenden irischen Freiheitskämpfen.

Die 21jährige Caroline Lennox brennt mit Henry Fox (39), einem ehrgeizigen Politiker aus wohlhabendem Hause, durch, sie heiraten 1744 heimlich. Er wird später Lord Holland. Einer ihrer Söhne, Charles James Fox, wird einer der berühmtesten Staatsmänner des 18.Jahrhunderts. Das Holland House in London ist Treffpunkt herausragender Persönlichkeiten jener Zeit. Lord Holland stirbt im Juli 1774, Caroline folgt ihm im gleichen Monat nach.

Emily Lennox wird im Alter von 16 Jahren mit James Fitzgerald, Graf von Kildare, dem späteren Herzog von Leinster und höchstem Peer von Irland, verheiratet. Sie folgt in inniger Liebe ihrem Mann nach Irland, führt dort das Schloß Carton House mit mehr als 100 Bediensteten - und wird Mutter von 19 Kindern. Das erste, George, wird 1748 geboren, es folgen dann eine ganze Schar von Brüdern und Schwestern, die Emily und ihr Mann, wenn sie von Reisen zurückkommen, gelegentlich nicht mehr auseinanderhalten können. Einer ihrer Söhne wird später ein prominenter republikanischer Revolutionär. Nach dem Tod ihres Mannes 1774 heiratet Emily den zehn Jahre jüngeren Hauslehrer ihrer Kinder Ogilvie und bekommt noch drei Kinder. Das zweiundzwanzigste und letzte, ein Mädchen Mimi, wird in Paris geboren - 30 Jahre nach dem ersten Kind, Emily ist bereits Großmutter. Sie stirbt im Alter von 82 Jahren im März 1814. Ogilvie überlebt alle Lennoxes und treibt auf seinem ererbten Anwesen Ardglass an der Nordküste Irlands mit fast manischem Eifer einen Pier ins Meer, um verirrten Schiffen und Patrouillenbooten einen sicheren Hafen zu schaffen. Als er mit seinem Werk beginnt, ist der Witwer bereits 74 Jahre alt und ärgert sich, daß er nicht schon früher angefangen hat. Nach dem Hafen baut er noch eine Rettungsstelle mit einem Rettungsboot für die Schiffe, die den Hafen nicht mehr erreichen können. Er stirbt 92jährig, fünf Jahre bevor Königin Victoria den Thron besteigt und das neue victorianische Zeitalter beginnt.

Louisa Lennox lebt nach dem Tod ihrer Eltern bei Emily, der 26jährigen Schwester, die nun auch die Mutterrolle übernimmt und die 15jährige mit dem reichsten Mann Irlands, dem 20 Jahre alten Thomas Conolly, verheiratet. Sein Wohnsitz, Castletown House, grenzt an Carton House, die Schwestern bleiben so räumlich verbunden. Die Ehe von Louisa und Thomas bleibt kinderlos. Conolly verbringt sein Leben mit Pferderennen und -wetten und der Jagd. Louisa wird quasi zur Managerin ihres Mannes, sie kümmert sich sowohl um seine Schulden als auch um das Anwesen, den Viehbestand und die Molkerei. 1803 stirbt Thomas Conolly. Louisa richtet danach ihr ganzes Augenmerk auf wohltätige Zwecke. Zunächst läßt sie eine Kirche bauen für anglikanische Protestanten, dann richtet sie eine Schule ein, in der sowohl protestantische als auch katholische Kinder Irlands unterrichtet werden. Louisa hofft so auf religiöse Toleranz, die, schon Kindern beigebracht, sich im weiteren Leben positiv auswirken würden. „ Kein unhöfliches Wort, was die Religion berührt, soll ein Protestant gegenüber einem Katholiken in den Mund nehmen und kein Katholik gegenüber einem Protestanten“, endet eines ihrer Gedichte. Louisa ist 78 Jahre alt, als sie 1821 stirbt.

Sarah Lennox kommt nach dem Tod der Eltern ebenfalls zu ihrer Schwester Emily. Sie gilt als schönes, eigenwilliges Mädchen. Als sie 14jährig bei Hofe eingeführt wird, begegnet sie dem Prince of Wales, dem späteren König Georg III. Er ist 21 Jahre alt, noch „Jungfrau“, entbrennt in heftiger Liebe zu Sarah, doch Konventionen und politische Intrigen zwingen ihn, die Prinzessin Charlotte von Mecklenburg-Strelitz zu ehelichen. Er hat weder Kraft noch Mut, sich dagegen zu wehren. Als Sarah, die sich gedemütigt fühlt, mehrere von ihren Schwestern ausgesuchte Heiratskandidaten ausschlägt, beschließt sie, falls bis zum 17. Lebensjahr nicht verheiratet, sich in Irland niederzulassen und das Haus Massie Hall zu führen. Es findet sich dann doch noch ein Mann - Thomas Charles Bunburry, ein Parlamentarier aus niedrigem Adel und wie sich herausstellt, auch pekuniär unattraktiv. Dennoch wird die Heirat vorangetrieben. Als das Paar schließlich 1762 getraut wird, ist allen Familienagehörigen klar, „es ist das kühlste Liebespaar, das es gibt“. Die Ehe bleibt kinderlos. Im vierten Ehejahr gerät Sarah in Verruf, sie vergnügt sich in Paris, trinkt, tanzt und spielt im belgischen Spa.

Die Londoner Klatschblätter überschlagen sich, dichten ihr allerlei Affären an, jeder ihrer Schritte wird beobachtet.

Wie sich doch die Bilder gleichen, denkt man an die tödlich verunglückte Lady Di! Und die Geschichte der Lennox-Schwestern liegt immerhin mehr als 200 Jahre zurück.

Sarah hat eine Affäre mit Lord William Gordon, brennt mit ihm durch, entbindet Tochter Louisa, geht mit ihrem Liebhaber zunächst nach Schottland. Ihre Ehe wird 1769 geschieden. Doch die Liaison mit Lord Gordon hält nicht lange an, Sarah kehrt reumütig nach London zurück, muß sich dogmatischen Familienregeln beugen. 36jährig heiratet sie den Offizier Lord George Napier, halb Schotte, halb Ire, ein verarmter Adliger. Doch er ist ihre große Liebe. Innerhalb von zehn Jahren bringt Sarah noch acht Kinder zur Welt, die Tochter Louisa stirbt 1785 an Schwindsucht. Lord George Napier stirbt mit 51 Jahren 1804; Sarah, die stets an seine eheliche Treue geglaubt hat, muß erfahren, daß er eine Mätresse hatte; Sarah wird 81 Jahre, stirbt 1826.

„Trotz mehrerer ernsthafter Zerwürfnisse gaben die Lennox-Schwestern nie ihre enge Beziehung auf... In Krisenzeiten hielt die Familie zusammen und tat ihr Bestes, um beieinander zu bleiben“, schreibt die Autorin Stella Tillyard.

Tausende von Briefen zwischen den Schwestern und anderen Familienangehörigen, zwischen Herren und Dienern, Tagebücher, Testamente, Schuldverschreibungen bilden die Grundlage für diesen biographischen Roman. Stella Tillyard sichtete akribisch selbst kleinste Notizen, die auf Rückseiten von Briefen oder an Kladden von Wirtschaftsberichten gekritzelt wurden, weiß aber auch um die Lücken der Dokumente, die teilweise auf testamentarischer Grundlage vernichtet wurden.

Aristokratinnen zeichnet ein Sittenbild des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts und vor allem die Rolle und den Einfluß von Frauen auf manche Karriere von Ehemann oder Sohn.

Wer sich noch nie mit Adelsgeschlechtern beschäftigt hat, wird allerdings seine Mühe haben und gelegentlich zurückblättern müssen, um herauszufinden, welcher George oder Charles mit welcher Louisa oder Sarah wann was zu tun hatte. Da können dann aber die 67 zeitgenössischen Abbildungen von den handelnden Personen und ihren Wohnsitzen weiterhelfen. Ansonsten: unterhaltsame und spannende Lektüre.

Gorda Dauer


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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