Rezension

 

Unter der brennenden Sonne Australiens

Patricia Shaw: Weites, wildes Land
Roman.

Aus dem Englischen von Karin Dufner und Barbara Steckhan.
Franz Schneekluth Verlag, München 1997, 544 S.

 

Seit einiger Zeit macht Patricia Shaw von sich reden - als Chronistin Australiens. Aufgewachsen in Melbourne und viele Jahre als Assistentin des Gouverneurs von Queensland tätig gewesen, wurde sie schließlich Leiterin des Archivs für „Oral History“ und publizierte zwei Sachbücher über die Besiedlung Australiens. Aus der Historikerin wurde am Ende eine Romanautorin, die ihre Kenntnisse in ein paar dicke Bücher einbrachte, die weitgespannte Familiensagas, exotische Abenteuer und australische Geschichte zu verschmelzen suchen: Südland, Sonnenfeuer und Heiße Erde. Jetzt ist Weites, wildes Land hinzugekommen, angesiedelt offenbar in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts (einziger Anhaltspunkt ist die Regierungszeit der Königin Viktoria, das war wohl 1837 bis 1901).

Vor der australischen Küste versinkt ein Passagierdampfer im Sturm, und als Überlebende werden in der Gegend von Perth zwei blutjunge Leute ans Land gespült: die 17jähige Sibell Delahunty und der nur wenig ältere Logan Conal. Sie fallen militanten Eingeborenen in die Hände und werden von dem Farmerehepaar Jack und Josie Cambray mittels ein paar Nahrungsmitteln ausgelöst. Sibell, ein verwöhntes, dummes Ding, Tochter aus gutem Hause, die im Sturm nun ihre Eltern verlor, sieht überheblich auf den angeblich ungehobelten Logan herab, der sich zu ihr aber ziemlich respektvoll verhält. Sie wird in Perth von Bekannten aufgenommen, dem Ehepaar Margot und Percy Gilbert, das sie aber bald nur als Magd und Köchin ausbeutet. Logan dagegen, ein irischer Sträfling (man erfährt nie, ob er zu Recht oder Unrecht verurteilt wurde und weshalb und wozu), der den Schiffsuntergang benutzte, seine Vergangenheit abzustreifen und eine neue Identität anzunehmen, bekommt als Landvermesser Arbeit und Ansehen, so daß Sibell bald von einem gemeinsamen Leben träumt. Die Arbeit führt indes den nichtsahnenden Logan zu den Cambrays, zwischen Logan und Josie lodert plötzlich Leidenschaft auf, die ältere Frau verläßt Hof, Mann und Kind und folgt dem Jüngling nach Perth.

Sibell sieht ihre Hoffnungen zusammenbrechen und nimmt Hals über Kopf eine Stellung im unerschlossenen Northern Territory an: als Sekretärin und Buchhalterin von Charlotte Hamilton, die dort in der Wildnis, weitab von jeder Zivilisation, mit ihren Söhnen Zack und Cliff und Schwiegertochter Maudie eine riesige Rinderfarm betreibt. Hier nun wird das behütete und verwöhnte Mädchen mit einer rauhen und gefahrvollen Natur konfrontiert, mit ungewohnt harter Arbeit, mit Wilden und Kriminellen. Herausgefordert werden ihre Anpassungsfähigkeit, ihr Mut, ihr Pioniergeist, und sie muß viele Abenteuer bestehen, sich bewähren, ehe dieses weite, wilde Land zu ihrer Heimat, und Zack Hamilton zu ihrem Manne wird. Auch Logan wird in den wilden Norden verschlagen, denn die Skandalgeschichte mit Josie kostet ihn in Perth sein Amt, und nur um den Preis der Eheschließung erhält er einen Job in Gilberts Goldminen. Aber weder die Arbeit noch die Ehe mit Josie vermag den leichtsinnigen Glücksritter zu befriedigen, er bändelt wieder mit Sibell an und sinkt schließlich von Stufe zu Stufe, bis ihn endlich der Dschungel verschlingt.

Das Beste sind wohl die Kapitel, die auf der Farm Black Wattle und in Palmerston spielen. Da wird ein Stück Besiedlungsgeschichte transparent - der Urwald mit seinen tückischen Schlangen, den gefräßigen Ameisen und gefährlichen Mücken, die reißenden Ströme mit den lauernden Krokodilen und lebensbedrohenden Quallen, die gewalttätige Natur mit der brennenden Sonne, den ausgedehnten Regengüssen und den alles niederwalzenden Zyklonen. Es ist eine Welt, die immer wieder der Natur abgetrotzt werden muß. Kriegerische, in die Enge getriebene Aborigines überfallen weiße Farmer, Squatter dringen in den Busch vor und metzeln Frauen und Kinder der Eingeborenen nieder. Und in der Kleinstadt am Meer das gestörte Nebeneinander von weißen Siedlern, chinesischen Einwanderern, abenteuernden Goldsuchern, geschäftigen Händlern, ihre Herden verkaufenden Hirten. Das alles wird sehr lebendig und kenntnisreich geschildert und mit bewegenden Menschenschicksalen verwoben.

Wenn es Patricia Shaw trotzdem nicht gelingt, zu den wirklich großen Erzählern aufzuschließen, hat das zwei Ursachen. Ihr Gerechtigkeitssinn verführt sie zu fast märchenhaften Lösungen: Die „Bösen“ erschießen einander oder werden Opfer von Krokodilen, und die „Guten“ kommen zu Reichtum, Ehe und Zufriedenheit. So wird der Ausgang für den Leser bereits nach zwei Dritteln des Buches voraussehbar. Das ist die eine Schwäche. Die andere: Psychologische Prozesse zu schildern ist Sache der Autorin nicht. Warum Sibell anfangs Logan nicht leiden kann, bleibt ebenso unerfindlich wie später ihre Leidenschaft für ihn, und genau so wenig motiviert ist der Entschluß der älteren, reifen Josie, alles aufzugeben, was sie bisher band, und dem Jüngling Logan bedingungslos zu folgen. Das Leben ist vielfältig, und natürlich sind solche Entwicklungen denkbar und möglich, nur muß der Schriftsteller eben über die Fähigkeit verfügen, alles das zu offenbaren, was den Weg dazu ebnet. Daran mangelt es hier. Überhaupt hat die Autorin Schwierigkeiten, Gestus und Ausdrucksweise der Jungen zu treffen - möglicherweise der Preis, daß sie erst spät zum Schreiben gekommen ist.

Mit Sibell und Logan sind ihr aber zumindest schillernde Figuren gelungen, die der Einschichtigkeit entbehren. Sibell ist eben nicht nur die anspruchsvolle, verwöhnte Prinzessin, die ob ihres Verlustes aller Angehörigen unseres Bedauerns sicher ist, sie erscheint anfangs auch dumm, unaufgeklärt, unerfahren, handelt oft unbedacht, arrogant, unverschämt, verspinnt sich in unüberlegte Träumereien. Und Logan ist keinesfalls der ungehobelte, grobe Knastbruder, sondern zurückhaltend und taktvoll, er hat Umgangsformen und entfaltet sogar Charme. Als Landvermesser gibt er sich nicht nur aus, er versteht auch, seine Kompetenz zu behaupten, und, das bleibt das Rätsel der Autorin, es gelingt ihm mühelos sogar eine folgenreiche, geologische Entdeckung. Schwer verdaulich dagegen ist eine Figur wie Ezra Freeman, der als Viezigjähriger um Sibell wirbt. In einer Art Vorverurteilung hat die Autorin alles Abstoßende auf ihn gehäuft und Sibell um jede Entscheidung betrogen: Ezra ist unappetitlich und fett, unbescheiden und ohne Geschmack, er keucht und schnauft, und seine Freunde sind alt und langweilig ...

In dieser Weise liegen Licht und Schatten beieinander, so daß wir das Buch schließlich unter die gehobene Abenteuerliteratur mit literarischen Ambitionen gruppieren. Spannend und unterhaltend ist es allemal, und Interessantes und Aufschlußreiches über ein fernes Land enthält es auf jeden Fall. Die Vielfalt der Schauplätze und die vorwärts drängende Handlung werden ihm Beifall sichern, auch wenn für den anspruchsvollen Leser Fragen offen bleiben.

Rainer Jahn


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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