Rezension

 

Wenn die Fledermaus stirbt ...

Hiltrud Schröder: Auf eigenen Füßen

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1996, 304 S.

Nun sind sie also rechtskräftig geschieden, die „Clintons aus Niedersachsen“, aufgelöst die „Firma, die Politik verkauft“ alias Gerhard und Hiltrud Schröder.

Dabei hatte alles so nett begonnen: Die engagierte SPD-Genossin Hiltrud, Ehefrau, Mutter zweier Töchter, will den Bundestagskandidaten Gerhard Schröder im Sommer 1980 gemeinsam mit andern Genossen bei einer Wahlkampf-Fahrradtour begleiten. Den schon damals zögerlichen, unentschlossenen und von „mangelndem Bewegungsdrang“ gezeichneten Sozialdemokraten, die sich, nur „eine Handvoll“, zudem auch noch ohne Fahrräder, am Treffpunkt einfinden, ist es zu danken, daß lediglich der Kandidat und sein Fan radeln und sich dann bei mehrstündiger Strampelei durchs Gelände näher kommen und ineinander verlieben. Zumindest hat „Hillu“ seine „blauen Socken“, die er ihr bei der klimatisch kalten Heimfahrt selbstlos überließ, als Liebeszeichen gedeutet, „aufgehoben und lange Zeit verbissen gegen die Motten verteidigt“.

Nachdem sich beide von ihren jeweiligen Ehepartnern scheiden ließen - Hiltrud mit mehr Problemen, sie mußte sich das Sorgerecht für ihre beiden Mädchen erst erkämpfen - stand der Trauung von „Gerhard Fritz Kurt Schröder und Hiltrud Marion, geborene Hensen“ im Juni 1984 nichts mehr im Wege.

Mit leisem Humor und feiner Zurückhaltung schildert Hiltrud Schröder Episoden ihres Lebens. Da sind die zwar kargen, dennoch unbeschwerten Kinderjahre im ländlichen Höver mit dem Geschichten erzählenden Großvater Heinrich, die ehemals „Höhere-Töchterschule“ in Hannover mit gehaßter Direktorin und ungeliebtem Koch- und Handarbeitsunterricht, die Jungmädchen-Schwärmerei für die Beatles - „John Lennon ist ein Gott, aber Paul McCartney sieht besser aus“ - und natürlich die ersten harmlosen Liebesabenteuer.

Da sind aber vor allem die erschütternden und anrührenden Berichte über die durch den Reaktorunfall von Tschernobyl verstrahlten Zonen Weißrußlands und der Ukraine, die kaum zu beschreibende Armut der noch dort lebenden Bevölkerung, das völlig unzureichende Gesundheitswesen und vor allem das unsägliche Leid der krebskranken Kinder.

Als der engagierten Natur- und Tierschützerin und Atomkraftgegnerin Hiltrud Schröder 1992 die Leitung der Landesstiftung „Kinder von Tschernobyl“ angetragen wurde, sagte sie spontan zu und fährt seitdem vier- bis fünfmal im Jahr mit Medikamenten, Diagnosegeräten und anderen dringend notwendigen Hilfsmitteln für Krankenhäuser in die verseuchten Regionen, kümmert sich ganz persönlich um die medizinische Behandlung einzelner kleiner Patienten. Es ist „nicht nur selbstlose Hilfe, die unsere Stiftung leistet“, schreibt Hiltrud Schröder, „für mich ist das politisches Engagement. Und politisches Engagement heißt für mich mehr, als medizinische Hilfe zu organisieren. Den Kindern in Weißrußland zu helfen heißt für mich auch, in Deutschland gegen die weitere Nutzung der Kernenergie zu kämpfen.“

Und so nutzt sie jede Möglichkeit, die Bevölkerung auf das Elend in den verstrahlten Gebieten aufmerksam zu machen, gibt Interviews, hält Vorträge, spricht bei Wirtschaftsunternehmen vor und scheut selbst die dümmlichste Talk-Show nicht, um Spenden zu sammeln. „Ja, ich bin mittlerweile ein Spenden-Profi. Und ich wollte ein Profi werden“, bekennt sie in ihrem Buch. „Ich habe kein Regierungsamt, und ich habe kein Amt in der SPD. Ich bin die einfache Bürgerin Hiltrud Schröder, die das Privileg hat, daß ihren Worten in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als anderen.“ Und sie nutzt auch ihr Buch, um die Kontonummer ihrer Stiftung bekanntzugeben.

Unschwer zu erkennen, daß aus dem „naiven Trotzkopf“, der gegen Atomkraft und Umweltzerstörung kämpfen und den Benachteiligten in der heutigen Überflußgesellschaft mehr Rechte verschaffen wollte, eine streitbare Frau „auf eigenen Füßen“ geworden ist, die ihre Position als Ministerpräsidentengattin für ihr Engagement zu nutzen wußte. Wohl wissend, daß ihr Einsatz gegen Massentierhaltung und unwürdige Tiertransporte ihr als „Profilierungssucht“ angelastet werden würde. Dennoch scheute sie sich nicht, sich mit dem Landwirtschaftsminister oder gemeinsam mit anderen Naturschützern mit der han noverschen Stadtverwaltung anzulegen. Wer ihr Kapitel über Fledermäuse liest, begreift, daß das Aussterben dieser Arten ernste Warnzeichen auf ein zerstörtes Ökosystem sind. „Fledermäuse benötigen genau das gleiche wie unsere Kinder. Wo die Umwelt gesund ist, da können Fledermäuse und Kinder leben. Eine Welt aber, in der die Fledermaus keinen Lebensraum mehr hat, die ist auch für unsere Kinder nicht mehr lebenswert.“

Während ihrer gemeinsamen Jahre mit Gerhard Schröder lernt Hiltrud nicht zuletzt als „Landesmutti“ unterschiedlichste Menschen aus Kunst, Wissenschaft oder Politik kennen, begegnet Staatsoberhäuptern wie Honecker oder Fidel Castro, müht sich protokollgemäß um das Wohl weiblicher Ehrengäste wie etwa Raissa Gorbatschowa. Aus manchen dieser Begegnungen entstehen Annäherungen, wenn nicht gar Feundschaften, andere werden ad acta gelegt, weil man sich nichts zu sagen hatte. Unverbrämt, nüchtern und ohne Häme beschreibt die Autorin das eine oder andere pflichtgemäße Zusammentreffen. Der Leser darf sich, gelegentlich schmunzelnd, sein eigenes Urteil bilden.

Diplomatie, so bekennt Hiltrud Schröder, sei nicht gerade ihre Stärke, und obwohl sie Sozial- und Politikwissenschaft studiert hat, fühlt sie mehr intuitiv, wenn Machtkämpfe unter bundesdeutschen Politikern nicht mehr zum Wohle des Volkes ausgetragen, sondern nur noch um der persönlichen Macht willen mit teilweise unlauteren Mitteln ausgefochten werden. Sie weiß aus eigener Einsicht um solche Querelen, schildert anschaulich, wie Volkes Wille ignoriert wird. Und manches Mal fragte sie nicht nur sich, sondern auch ihren Mann, ob er sein eigentliches Ziel noch verfolge, ob er seine Ideale dem Willen zur Macht geopfert habe.

Sie ist unbequem, die Hiltrud Schröder, die sich auch aus persönlichen Niederlagen wieder aufrappelt. Bleibt zu wünschen, daß ihre Appelle, sich wieder mehr auf Werte wie Solidarität, Mitgefühl und Verantwortung zu besinnen, weiterhin Gehör finden.

Sabine Graßmann


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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