Rezension

 

Euch ziemt es, stets das Maul zu halten ...

Ernst Pawel:
Der Dichter stirbt. Heinrich Heines letzte Jahre in Paris.

Aus dem Englischen von Regina Schmidt-Ott.
Berlin Verlag A. Spitz, Berlin 1997, 240 S.

 

„Scheinheilige Achtung und unverhüllte Schadenfreude, dieses fragwürdige Gemisch, mit dem mehrere deutsche Zeitungen Heinrich Heines Tod bereits im Sommer 1847 meldeten, spiegelt nicht nur die geheimen Wünsche derer wider, die diese verfrühten Nachrufe boshaft oder leichtgläubig zusammengebraut hatten, sondern auch Heinrich Heines lange bewahrte höchst zwiespältige Stellung in Literatur und Politik. Er war unbestreitbar der populärste deutsche Dichter seit Goethes Tod, aber auch ein Mann, der es stets darauf angelegt hatte, sich Freunde und Feinde gleichermaßen zu Gegnern zu machen.“

Wer schreibt da so wunderbar unaufgeregt über diesen deutschen Dichter? Der Klappentext verrät uns so viel: „Ernst Pawel wurde 1920 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern geboren. Er floh mit seiner Familie 1934 nach Belgrad und emigrierte 1937 in die USA.“

Ich muß gestehen, daß ein erstes Blättern in Pawels Buch über Heine nicht sonderlich aufregend war. Man muß sich schon einlassen, Zeit haben für die Lektüre, dann allerdings kann man sich immer mehr begeistern für die einfach-kluge Schreibweise Ernst Pawels, für seine eingestreuten Sprünge ins späte zwanzigste Jahrhundert und sein klares Autor-Ego, das nicht oft, aber häufig genug seine Position im Geschehen markiert.

Man muß als Autor eines solchen Buches nicht unbedingt selbst vertrieben worden sein aus seiner familiären und gesellschaftlichen Umgebung, kurz aus seiner Kultur, um eine solch präzise Darstellung des „Emigranten“ Heine liefern zu können. Daß die eigene Erfahrung aber die Sinne und die Wahrnehmung schärft, scheint mir hier eindeutig der Fall zu sein. Es gelingt Pawel eine sehr ansprechende Montage von Zitaten und persönlicher Sicht auf die letzten Jahre Heines. Dabei wird aber auch für den nicht eingeweihten Leser Heines „Vorgeschichte“ deutlich. Wir können also trotz der zeitlichen Einschränkung im Titel von einer Heine-Biographie sprechen, eben mit der Betonung auf dem Schluß dieses Lebens. Der Leser dieser Rezension soll allerdings auch erfahren, daß es sich nicht um eine einzige Lobeshymne der Dichterpersönlichkeit handelt. Pawel hat überhaupt keine Scheu, da, wo es ihm nötig erscheint, einen „Tadel“ auszusprechen. Geschildert werden die letzten acht Jahre Heines, vom Februar 1848 bis zu seinem Tode am 17. Februar 1856. Nach den verfrühten Nachrufen von 1847 war dem Schriftsteller Heine doch noch fast ein Jahrzehnt vergönnt: „Es waren acht unendlich qualvolle Jahre. In dieser Zeit schrieb er einige seiner größten und anrührendsten Werke.“ Pawel berichtet uns von den ärztlichen Methoden der damaligen Zeit, die bei Heine angewandt wurden: „... von Blutegeln bis zu Einläufen, von Kauterisation der Wirbelsäule bis zum Einreiben von Opium in künstlich offengehaltene Wunden.“ Heine selbst „sprach von seiner Krankheit als syphilitisch bedingten Degenerationserscheinungen der Wirbelsäule“, die heutige Forschung glaubt eher an „amyotrophische Lateralsklerose und verschiedene Muskeldystrophien.“ All diese Hypothesen „sind nur von rein akademischem Interesse und berühren unseren Eindruck von diesem (nur) siebzig Pfund schweren, zum Skelett abgemagerten Mann in keiner Weise, der, fast blind, unter starken Sedativa stand, sich oft nur flüsternd äußern konnte und dem es während seines unendlich langen Aufenthalts in dieser Hölle dennoch gelang, einen nicht versiegenden Strom kraftvoller Poesie und unvergleichlicher Prosa hervorzubringen.“ - Heines „zwiespältige politische Haltung“ faßt Pawel so zusammen: „Sie war die eines Mannes, der weiß, wogegen, selten aber, wofür er eintritt, und dem es unmöglich ist, sich unkritisch irgendeiner Sache hinzugeben. Immer noch sah er sich gern als Revolutionär, aber niemand nahm ihn in dieser Rolle ernst. Und indem er den Sieg des Kommunismus gleichzeitig voraussagte und beklagte, zog er zwischen den Linien das Feuer von beiden Seiten auf sich.“ Manche, hierzulande, sahen in dieser Haltung allzu gern den „zersetzenden, jüdischen Geist“ und wollten statt dessen lieber ihr Schicksal einem „tausendjährigen“ Reich anvertrauen. Was sie davon hatten, wissen wir nur zu gut.

Um Heines konzise Spötterei wenigstens einmal im Original aufblitzen zu lassen, seien hier die Ernst Pawels Buch entnommenen Strophen aus den

Erinnerungen aus Krähwinkels Schreckenstagen

vorgestellt: „Ausländer, Fremde sind es meist, / Die unter uns gesät den Geist / Der Rebellion. Dergleichen Sünder, / Gottlob! sind selten Landeskinder.“

Und: „Wer auf der Straße raisonnirt, / Wird unverzüglich füsilirt; / Das Raisonniren durch Geberden / Soll gleichfalls hart bestrafet werden. // Vertrauet Eurem Magistrat, / Der fromm und liebend schützt den Staat / Durch huldreich hochwohlweises Walten; / Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.“

Pawel weist auch auf Heinrich Heines Verhältnis zur Literaturkritik hin: „... er hielt Buchbesprechungen in Deutschland leicht für von politischen Intrigen beeinflußt ... Obwohl in dieser Ansicht sein unüberwindlicher Verfolgungswahn mitschwang, ist sie doch alles andere als wirklichkeitsfremd; Buchbesprechungen hängen zwar überall mit Literaturpolitik und sonstigen Interessen zusammen, doch übertrifft die Korruptheit in Deutschland auf diesem Gebiet die in den meisten anderen Ländern.“

Nicht nur der Rezensent, auch manch anderer Leser wird sich bei der eben zitierten Passage fragen, welche Zeit denn nun gemeint sein kann, die Heines oder auch die unsere, die Verwendung des Präsens könnte dies nahelegen. Es kann sich aber auch um eine der ganz wenigen Schwachstellen in der Übersetzung handeln. Der deutsche Text von Regina Schmidt-Ott liest sich ansonsten ausgezeichnet. Ein weiteres großes Lob ist dem Berlin Verlag selbst auszusprechen. Er ist anscheinend bemüht, uns deutschsprachige Leser mit interessanten Neuerscheinungen aus dem Ausland vertraut zu machen, und dies geht weit über die leicht dominierende angelsächsische Welt hinaus. Die Professionalität der Anschauung, die einer Liebeserklärung an Bücher schlechthin gleichkommt, ist leider sehr selten geworden. Auf dem „Schutzumschlag“, ein problematisch gewordener Begriff, da er heute meist aufwendiger gestaltet ist als der eigentliche Einband, schauen wir aus leichter Obersicht auf einen nachdenklichen oder lesenden Heine, eine Bleistiftzeichnung von Marcellin-Gilbert Desboutin von 1853, drei Jahre vor Heines Tod.

Ich habe mir die kleine Mühe gemacht, eher eine Freude, und mir in einer Buchhandlung in Berlins neuer und alter Mitte andere Bücher des Berlin Verlags angesehen. Sie sind ebenfalls sehr individuell und ansprechend gestaltet. Obwohl unüblich, möchte ich - als Leser - an dieser Stelle den „Gestaltern“ Nina Rothfos und Patrick Gabler nach Hamburg meinen Dank übermitteln.

Wir leben im Zeitalter des Fernsehens und des Computers. Der letztere ist heute bei der Buchproduktion ein wichtiger Helfer geworden; daß Bücher dennoch und immer noch schön sein können, muß jeden Leser mit Freude erfüllen. Wenn dann, wie in unserem Falle, auch noch der Inhalt, der Stoff selbst gut gestaltet und vorbildlich ,erzählt‘ wird, dann bleibt dem Rezensenten nur noch der Zuruf an die potentiellen Leser: „Öffnet Eure Börsen und lest!“

Karl F. Faltenbacher


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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