Rezension

 

Der Schauspieler im Polithimmel

Hans-Peter Minetti: Erinnerungen

Ullstein Buchverlag, Berlin 1997, 376 S., 54 Fotos

 

Dem Mimen flicht laut Schiller die Nachwelt keine Kränze, weil seine Kunst eine schnell vergängliche ist (sofern Film und Fernsehen außen vor bleiben). Erinnerungsbücher und Autobiographien haben deshalb bei Schauspielern Tradition:

Wer schreibt, der bleibt. Bei Minetti (71) dient das Buch noch dazu als Rechtfertigungsschrift, war er doch wegen jahrzehntelang in der DDR ausgeübter politischer Funktionen ins Gerede gekommen. Der geschickte, aber naheliegende Anknüpfungspunkt: die deutsch-deutsche Schauspielerdynastie Minetti mit Vater Bernhard in Westberlin, Schwester Jennifer in München und eben Hans-Peter in der Hauptstadt der DDR. Dabei hatte er sein Studium (er wollte Journalist werden) auch im Westen begonnen, in Kiel (wo er, als willkommener Intellektueller umschmeichelt, in die KPD eintrat) und Hamburg, ehe er 1950 in die DDR konvertierte. Der Wechsel war keine Entscheidung für den anderen deutschen Staat (Minetti sicherte sich zuvor sogar noch eine Rückzugsmöglichkeit nach Hamburg), sondern hatte lediglich Neugier auf das Stanislawski-System zum Grund, das dazumal in Weimar von Maxim Vallentin, Otto Lang und Ottofritz Gaillard zur Schauspielerausbildung praktiziert wurde. (Ausgerechnet das von Brecht so verpönte „Stanislawski-Buch“ Gaillards hatte Minettis Begeisterung ausgelöst.) Schlecht kann der Unterricht in Weimar nicht gewesen sein, da er innerhalb von nur drei Semestern solide Grundlagen für einen schwierigen Lebensberuf vermittelt bekam.

Es ist ein grundehrliches Buch, ist es aber auch ein kluges Buch? Es verschweigt nichts, es korrigiert auch im nachhinein nichts, es könnte aber, bis auf das Schlußkapitel, sogar noch vor der Wende geschrieben worden sein. Minetti schwört seiner Weltanschauung nicht ab, und er schildert alles so, wie er es seinerzeit erlebt hat - so spiegelt es auch die Naivität und Selbstverliebtheit des Mimen wider. Am Ende aber scheint es, als sei das Urteilsvermögen des Autors stehengeblieben. Da tat sich 1958 mit der Wahl ins Zentralkomitee der SED dem Amateurpolitiker plötzlich der „Polithimmel“ auf, und wenn die ZK-Tagungen auch langweilig verliefen, so waren sie dem Schauspieler doch „eine Fundgrube für Studien von Mienenspiel und Psychologie“. Unverkennbar ist der Stolz, nun zum Führungskern zu gehören und jederzeit mit den Göttern vom Politbüro kommunizieren zu können. Und die werden dann weitgehend als bewunderungswerte oder zumindest passable Leute erlebt und geschildert - Ulbricht, Honecker, Sindermann, Norden, Warnke, Lamberz, auch Günther Jahn, Schalck-Golodkowski, Schwanitz von der Stasi und seine Leute. Herrmann, Mittag und Schabowski freilich kommen ein bißchen schlechter weg, und mit Naumann und Kulturminister Hoffmann hat Minetti nachträglich und ausführlich noch ein ganz persönliches Hühnchen zu rupfen. Aber Dzierzynski, in Moskau längst vom Sockel gestürzt, wird immer noch als mutiger Held, als Ritter ohne Furcht und Tadel apostrophiert. Mängel und Fehler, erfahren wir nun, hätten ihn, Minetti, durchaus beschäftigt, Personenkult zum Beispiel, eine langweilige und gleichförmige Presse, die unsinnige Angst vor Fehlerdiskussionen, engherzige Zensur. Er hat wohl auch früh erkannt, daß das ZK kaum zur Meinungsbildung herangezogen wurde. Aber immer wieder hätte er sich, leider, der Disziplin untergeordnet. Natürlich hat er seine Skrupel nicht öffentlich gemacht, sich sogar im Anschein gesonnt, daß seine Stimme und seine Meinung Parteibeschlüsse mitgeprägt hatten. So entstand der Eindruck, daß die Parteiführung demokratisch und effektiv war. Und für viele seiner Kollegen war er das Stück personifizierte Partei, das sie eben erwischen konnten. Und wie stellt sich ihm nun, 1997, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dar? „Ich hätte mir in der DDR einen Sozialismus mit wirklich menschlichem Gesicht gerne gewünscht. Aber die Zeit schien noch nicht gekommen. Heute scheint der Sozialismus mit menschlichem Antlitz um Jahrzehnte in die Zukunft verschoben. Da muß man sich einstweilen mit der Hoffnung begnügen, daß sich uns vorher vielleicht noch ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz präsentiert. Das könnte doch eine makellose Übergangsperiode zu einem freundlichen Sozialismus werden, der dann vielleicht gar auch noch Verständnis aufbringt für uns, die wir Brechts traurige Verse allzu wörtlich genommen, allzu wahr gemacht haben: ,... Ach wir / Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit / konnten selber nicht freundlich sein.‘“

Minetti war als Schauspieler früh populär geworden als Fiete Jansen im Thälmann-Film. Die fiktive Figur, jung und dynamisch, offen und sympathisch, bot gegenüber den vielen historisch determinierten Personen am ehesten Identifikationsmöglichkeiten für den Zuschauer. Die schauspielerische Popularität brachte dem jungen Genossen viele politische Ämter ein, und diese Ämter wiederum haben Anteil an seiner Karriere als Bühnen-, Film- und Fernsehschauspieler. Ein Darsteller, dem das Ensemble Lebensbedürfnis war, ist Minetti wohl nie gewesen, es hat ihn zumindest nirgends lange gehalten: Vom Jungen Ensemble Weimar wechselte er nach Schwerin, vom Maxim Gorki Theater zum Deutschen Theater, auch am Berliner Ensemble und an der Volksbühne verpflichtete er sich nur zeitweise. In Filmen und Fernsehproduktionen haben alle guten Darsteller auch neben ihrer Theaterarbeit gespielt, aber da waren noch Minettis Verpflichtungen in Rostock, im Theater im Palast, im BAT, an der Staatsoper, an der Komischen Oper ... Eine Unrast treibt ihn von Rolle zu Rolle. Cliquenwirtschaft und Eifersüchteleien in den Ensembles will er entgehen, aber der Weg führt ihn schließlich zu selbstbestimmtem Einzelgängertum, zu abendfüllenden Monologen und Einpersonenstücken, die er sich von Baierl, Hammel, Strahl und Mickel beschafft oder schreiben läßt. Ganz allein ein Auditorium zwei Stunden lang zu fesseln, ganz allein im Rampenlicht zu stehen - auf diesem Gebiet war er dank seiner Intelligenz und reicher darstellerischer Mittel wirklich überragend, da gab es kaum seinesgleichen. Nur einem Institut hat er über einen langen Zeitraum die Treue gehalten, hier hat er viel Kraft investiert, und die Arbeit war ihm wohl Herzenssache: die Rede ist von der Berliner Schauspielschule, der er als Rektor über 12 Jahre lang vorstand.

Am Ende werden im Sinne eines Rechenschaftsberichtes vor allem Aktivitäten aneinandergereiht. Ist es Illusion oder Selbsttäuschung, wenn Minetti beschreibt, wie er sich auf Grund eigener Entscheidung nach der Wende von der Politik verabschiedet und aus eigenem Willen die Theaterstadt Berlin verläßt, um als 64jähriger mit Lesungen, Rezitationen, Monologen und Minidramen vorwiegend durch Liechtenstein, Luxemburg, die Schweiz und Österreich zu düsen? War es nicht vielmehr so, daß das Berliner Terrain nichts mehr hergab? Daß dort die politische Glaubwürdigkeit verspielt und damit auch der Kurswert des Künstlers gesunken war? Es hätte nichts geschadet, das offen einzugestehen. Der Neuanfang im Alter ist in seiner Art ohnehin bewundernswert: Weiß doch der Kundige, welch ungeheure Kraft solche Reisetätigkeit bedarf. Des Versuchs der theoretischen Aufwertung (Rückkehr zur urtümlichen Daseinsweise der Komödianten, gute Spielstätten in theaterlosen Kleinstädten, dankbares Publikum, luxuriöse Hotels und jeden Abend Rezensenten) hätte es da kaum bedurft.

Ist das Buch lesbar geschrieben? Das Manuskript zehrt noch von journalistischer Furore, aus der Minetti einst einen Beruf machen wollte. Der Autor versteht anschaulich zu schildern und lebendig zu argumentieren. Ein Lektor hätte noch dort bessern können, wo Minetti nicht allen seinen eigenen hohen Forderungen an die sprachliche Formulierung nachgekommen ist oder wo die berufsmäßig bedingte Selbstverliebtheit noch ins sprachliche Detail gerutscht ist. Aber leider müssen die Verlage ja heutzutage solche Hilfestellung selbst dort versagen, wo kein professioneller Schriftsteller am Werke ist. Grundsätzlicher Schaden ist dem Buch ohnehin nicht entstanden. Die Fotos freilich hätten präziser beschriftet werden können: Auch alle Partner Minettis haben ein Recht darauf, genannt zu werden.

Henry Jonas


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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