Rezension

 

Schreiben - etwas wie Atmen

Hans Fallada. Sein Leben in Bildern und Briefen
Herausgegeben von Gunnar Müller-Waldeck, Roland Müller,
unter Mitarbeit von Uli Dietzen.

Aufbau-Verlag, Berlin 1997, 270 S.

 

„Dich wollen wir schon zurechtkriegen!“ drohte der Direktor dem 6jährigen Rudolf Dietzen bei der Einschulung und meinte wohl das Über-einen-Leisten-Schlagen des Kindes. Das gelang weder in der Schule noch später. Rudolf Dietzen/Hans Fallada bewegte sich immer ein bißchen (mehr oder weniger) außerhalb des Üblichen - auch wenn es manchmal ganz bürgerlich aussah.

Dieses Leben - wirr u n d akkurat - präsentiert der Aufbau-Verlag zum 50. Todestag Falladas in einer Auswahl von Briefen und Bildern. Damit erfolgt neben der Veröffentlichung unbekannter Fotos und Dokumente erstmals der Zugang zu teilweise intimen Briefen. Die Zusammenstellung dieses sehr schönen Bandes - eingeleitet vom Fallada-Sohn Uli Dietzen - folgt der Chronologie des Schriftstellerlebens. Das Buch will nichts erklären, keine Analyse liefern. Auf Kommentare und Erläuterungen wird bewußt verzichtet: Der Blick in das Private bleibt frei von interpretatorischen Sichten - und kommt damit dem Selbstverständnis Falladas nahe, der an Hermann Broch schreibt, „warum muß ich denn etwas anderes tun, als das Bestehende schildern? Bin ich ein Besserer? Ein Erzieher? Nein, ich bin nur ein Schilderer!“ Dies schreibt er 1937 vor dem Hintergrund und mit der Erfahrung von immerhin 10 Buchveröffentlichungen, darunter die Romane Bauern, Bonzen und Bomben (1931), Kleiner Mann - was nun? (1932), Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (1934), Wolf unter Wölfen (1937). Es ist seine Beziehung zur (Um)Welt, die er in ebendiesem Brief verteidigt, aber auch einräumt, daß er natürlich alles mit seinen „Menschlein tun (kann), und sie werden nicht einmal unglaubhaft - nur glücklich machen kann ich sie nicht. Und so etwas meinen Sie doch, glücklich sein ist ja nur ein banaler Ausdruck für Lebenssinn.

Und wenn ich gerade das nicht kann, so liegt es wohl daran, daß ich selber nicht an einen Lebenssinn glaube. Ich selbst habe mich auf die Linie einer tüchtigen Schlichtheit zurückgezogen, wie Sie ganz richtig sagen, aber das ist natürlich nur ein fauler Kompromiß, damit ist es nicht getan. Aber wie anders?“

Einmal will er es radikal anders machen. 1911, 18jährig, ist er noch jung genug, um literarischen Vorbildern nachzuleben (von Oscar Wilde ist die Rede und von einem gewissen „Mann“), ihnen in ihrem Lebensüberdruß und Todessehnen zu folgen und so dem faulen Kompromiß auszuweichen - im Duell mit einem ihm ergebenen Freund. Der Freund stirbt, Fallada, mit zwei Schußverletzungen in der Herzgegend, überlebt. In der Nervenheilanstalt Tannenfeld lebt er dann „ziemlich gleichgültig“ vor sich hin. Schreibt Gedichte wie „Tannenfeld“:
Vielleicht ist Park hier nichts so sehr wie Leid,
Vielleicht ist Baum ein hingeschluchztes Wort,
und jedes Blatt ist einer Schwermut Kleid,
Darinnen Lust wie Leid erstickt verdorrt.
Natürlich geht einer, der nicht an einen Lebenssinn glaubt, mit jeder Form von Existenz einen (faulen?) Kompromiß ein. So auch Fallada. Die Briefe belegen: Er gibt sich durchaus Mühe beim „Zurechtkriegen“, z. B. bei der Ausbildung in landwirtschaftlichen Belangen. Eingebunden in die robuste Stabilität eines Rittergutes, „hat (er) nicht nur die Kasse und die Bücher ein Jahr allein geführt, sondern auch in Amtsvorsteher- und Schiedsmannsgeschäften zu meiner großen Zufriedenheit gearbeitet“, bescheinigt im Jahre 1915 der Rittmeister Herrmann. Fallada über sich selbst: „Ich wurde ein Spezialist für Kartoffelzüchtung, in meinen besten Zeiten habe ich rund 1 200 Kartoffelsorten nicht nur den Namen nach gekannt, sondern auch nach dem Aussehen der Form und Farbe der Knollen zu bestimmen gewußt.“ Auf Dauer kann das keinen Sinn bringen für ihn. Macht es wohl auch nicht: Unter der Hand bandelt er mit dem „kleinen Tod“. Er nimmt Drogen (später auch Tabletten und Alkohol) und begeht (als wollte er ausscheren aus der beurkundeten Ordentlichkeit) erst kleinere, dann größere Unterschlagungen, verbunden mit Urkundenfälschung. Dafür geht er 1926 für zwei und ein halbes Jahr ins Neumünster Gefängnis.

Danach scheint alles anders zu werden. Schon seit dem „Pubertätsroman“ Der junge Goedeschal (1920) und dem Zweitling Anton und Gerda (1923) im Rowohlt Verlag gibt es den Hans Fallada - der sich nun als Haftentlassener Rudof Dietzen „scharf ins Geschirr“ legt, denn, so schreibt er den Eltern, „ ich habe immerhin eine sehr bittere Lehre bekommen und glaube wirklich, daß ich mich in dieser Hinsicht geändert habe“. Dietzen/Fallada wird Mitglied bei den Guttemplern (eine Abstinenzbewegung) und verdient sich seinen Lebensunterhalt als Annoncenwerber - „die dreckigste und ekligste Art, sein Geld zu verdienen“. Aber es soll ja nur ein Anfang sein.

Das große Los zieht er „vom holden Wahnsinn geschlagen“ mit Frl. Anna Issel, Suse genannt, das Lämmchen des Schriftstellers Hans Fallada. Er wundert sich heftig und ist dabei „so glücklich, wie ich es noch nie in meinem Leben gewesen bin“. Glücklich sein - der banale Ausdruck für Lebenssinn. Kein fauler Kompromiß - „alles hat seinen Sinn bekommen, seit ich Dich habe, und auch was mich schmerzt und ärgert und unvollkommen ist, tut nicht mehr recht weh, geht nur bis auf die Haut, weil ich Dich habe.“

Er ist 35 Jahre alt und hat noch 19 Jahre vor sich. 15 davon mit der „jelübte(n) Anna“, der er - ahnungsvoll wissend - mit all seinen Liebesworten auch eine deutliche Warnung vor sich selbst zukommen läßt. („Liebe, liebe Suse, hab mich nicht zu lieb. Sonst wird einmal die Enttäuschung zu groß, wenn Du mich wirklich kennst.“) Doch das Ende mit Schrecken ist noch eine Weile hin. Die Gefühle frisch, der Lebensmut groß. Man heiratet, 1930 wird Sohn Uli geboren. Fallada arbeitet an einem Roman, „es ist eigentlich die Geschichte von den kleinen Interessen, dem Kampf der Eigensucht mit der Eigensucht. (...) Ein bissel Spannung, Anständige, die auch unanständig sind, Unanständige, die wider Willen auch mal anständig sein müssen.“ Der Freund aus Gutstagen, Kagelmacher, erhält jubelnde Zeilen mit Vorsicht gemischt: „Der Roman! Der Roman! Der Roman! Lieber Kagelmacher, ich habe etwas ganz Irrsinniges unternommen, und wenn es was wird, wird es etwas ganz Neues, nicht zu verwechseln mit dem Betrieb und Getu, aber wenn es nichts wird, dann wird es eben nichts. Und es wird schon nichts werden.“

Es wird. 1931 erscheint Bauern, Bonzen und Bomben. Fallada wird bekannt. Ein Jahr später berühmt, weltberühmt mit Kleiner Mann - was nun? Sein Verleger Rowohlt ist sehr angetan von den Verkaufszahlen. Und in der Kleinfamilie wird aufgeatmet. Es muß nicht mehr mit „aller Gewalt“ an allem gespart werden. Es ist geschafft, ein Stückchen wenigstens. Zuckmayer rezensiert: „Er hat etwas, was weit über den sogenannten Zeit-Roman hinausgeht, auch weit über die Kategorien, des ,Nur-Realistischen‘, ,Abgeschilderten‘, ,Aus der Nähe-Gesehenen.‘“ Kästner will ein Freiexemplar. Soll er haben, obwohl „ich finde ja eigentlich, daß er Geld genug verdient, sich selber eins zu kaufen“. Für einen Herrn Fadiman nimmt sich Fallada viel Zeit, um ihm ausführlich mitzuteilen, wie er dazu gekommen ist, den „Kleinen Mann“ zu schreiben: „Nun einmal bin ich selber mein Lebtag ein ,Kleiner Mann‘ gewesen“, vor allem aber ist es das „Leben, das ich um mich sah. (...) Ich (wollte) wirklich wahrheitsgetreu von seinem Leben berichten.“

1933 - Fallada kauft im mecklenburgischen Carwitz ein Stück Land, Haus am See. „Es ist wundervoll hier. Still und ruhig und unendlich schön.“ Eine Zuflucht, die nicht den Ausgleich schafft zu den äußeren Spannungen - und zu der inneren Unrast gleich gar nicht. Carwitz, ein Kompromiß, der nicht halten wird. Die „heute auch so oft vergessene Front: die Front der Anständigen. Der Menschlichen“ fällt - es etabliert sich die Front der Barbarei in Deutschland. Nun kriegen sie ihn her - auf eine Art, die ihn den faulsten Kompromiß machen läßt. Er ahnt es. Aber wie anders? „Lieber Meister Rowohlt, ich glaube, es wird allerhöchste Zeit, daß ich dem Reichsverband deutscher Schriftsteller beitrete, sonst würde ich wohl kein Buch mehr in Deutschland veröffentlichen können.“ Das ist doppelte Angst. Die des leidenschaftlichen Erzählers, dem Schreiben Lebenssache ist, „etwas wie Atmen“ und der „ein bißchen daran“ glaubt, „daß es hilft, ein ganz klein wenig hilft, wenn man den Menschen sagt: seid anständig zu einander“ - und es ist die Sorge des Familienvaters, der Verantwortung hat und immer den Druck der Zuständigkeit, Tag für Tag, den Laden in Schwung zu halten. Ohne Suse sowieso nicht machbar. Mittlerweile ist ein zweites Kind da, Tochter Lore, Mücke genannt. Carwitz ist ein Paradies für Kinder und ein Stück Arbeit, die getan werden muß. Gelegentlich kommt Besuch, wie Rowohlt, Martha Dodd, Mildred Harnack-Fish. Fast immer wird fotografiert. Die Carwitz-Bilder zeigen ländliches Familienleben, Fallada beim Holzsägen, als Imker, mit Frau und Kindern im Boot, am Schreibtisch. Er ist „in der Arbeit der geborene Hetzer“. Kann es nicht lassen. 1934/35 erscheinen in rascher Folge die Romane Wer einmal aus dem Blechnapf frißt und Wir hatten mal ein Kind. Es folgen eher leichtere Unterhaltungsromane - „Rowohlt möchte am liebsten, daß ich nur Romane schreibe, die in der Berliner Illustrierten vorabgedruckt werden können und also viel Geld bringen. Erfolgsromane heißt die Parole.“ Er sieht sich an einem Scheideweg. Nach leichteren Büchern, schreibt er an die Eltern, habe er „einen Kater (...) und fühle, ich veraase mein Talent, muß ich meinen Weg weiter gehen. Er ist entschieden dornenvoller, entschieden uneinträglicher, aber letzten Endes habe ich doch keine Wahl. Ich muß schreiben, was ich schreiben muß, sonst nichts.“

1937 kommt der zweibändige Roman Wolf unter Wölfen heraus, „ein sanftes Werk ist dies ja nicht, aber, wie ich sage, für die Guten geht es gut aus, und für die Schlechten schlecht“. Von nun an gilt er als „unerwünschter Autor“, der sich jede Aktivität dreimal überlegen muß - wie z. B., ob er in einer Jubiläumsreihe von Werken erscheint, „deren Verfasser heute nicht in gutem Geruch stehen. z. B. Leonhard Frank, Döblin, Feuchtwanger u. a.“ Er riskiere, mit ihnen auf der gleichen Seite zu stehen, „gewissermaßen Arm in Arm als Repräsentanten deutschen Schrifttums, was mir nicht angenehm wäre“. Das ist schon hart. Mit dem Anständigsein ist es schwer in Nazi-Deutschland. Von Fallada wird schriftstellerndes Dabeisein, wenn schon nicht befohlen, so doch dringlich angemahnt. Er windet sich, kommt aber nicht drumrum. So erhält seine Mutter im August 1939 die freudige Mitteilung: „Den Schweinen geht's wieder ganz gut, nur ihr ,Stuhlgang‘ bedarf noch der Regelung. - Ich habe meine H.J.-Erzählung hinter mir, habe sie auch schon getippt und abgeliefert.“ Einen Film soll er machen mit „propagandistischer Tendenz“ - er verschanzt sich in Carwitz, wimmelt Truppenbetreuung ab, erläutert ein geplantes Buch mit der Gestalt eines „kleinen häßlichen Juden“ (keine Zeile hat er geschrieben), und er überlebt in Berlin verheerende Bombenangriffe, findet wahrscheinlich nicht nur „Europa zum Kotzen“, betäubt sich mit Tabletten und Alkohol, hat permanenten Krach mit der Verwandtschaft und, viel schlimmer, mit Suse. Das ist irreparabel.“ Sie ist meine Gefährtin gewesen, es tut mir so bitter weh ... Meine Arbeit freut mich nicht mehr. Ich bin sehr alt geworden, nicht nur äußerlich, ich bin lebensmüde. Was soll ich noch?“ - ein langer Brief an Elisabeth und Heinz Bechert, 25. Mai 1945.

Die Zeit rast davon. Weniger als ein Jahr bleibt ihm noch. Fallada übernimmt das Amt des Bürgermeisters in Feldberg und bricht nach wenigen Monaten zusammen. Er lebt und liebt in neuer Ehe mit Ulla, schön und jung und drogenabhängig. Wieder in Berlin, schreibt er hauptsächlich für die Zeitung der Roten Armee, die Tägliche Rundschau. Der Dichter Johannes R. Becher unterstützt ihn. Fallada erhält in Pankow ein eigenes Haus und arbeitet am Roman Der Trinker, und dann entsteht nach Gestapoakten und auf Anregung Bechers der letzte Roman Jeder stirbt für sich allein - „ich habe jetzt wieder einen wirklich großen Roman geschrieben, in ganz kurzer Zeit, einen Roman, der ein Erfolg werden wird“, berichtet er am 22. Dezember 1946 aus der Charité an seine Mutter. Das Buch erscheint 1947 im Aufbau-Verlag. Fallada erlebt es nicht. Ein von Suse aufgegebenes Telegramm teilt mit: Rudolf am 5. 2. plötzlich verstorben.

Burga Kalinowski


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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