Rezension

 

James Ellroy - Traum und Obsession

James Ellroy: Die Rothaarige
Die Suche nach dem Mörder meiner Mutter.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1997, 464 S.

 

„Irgendein unbekannter Killer hatte mir gerade ein brandneues Leben geschenkt“, so reagiert der zehn Jahre alte James Ellroy, als ihm die Polizei eröffnet, daß sie die Leiche einer vergewaltigten und ermordeten Frau als seine Mutter identifiziert haben. Am 22. Juni 1958 wurde die recht attraktive, rothaarige Jean Ellroy im Alter von 43 Jahren getötet. Dieser Mord wurde trotz aller Bemühungen seitens der Polizei von El Monte bei Los Angeles nie aufgeklärt. Die Rothaarige lautet denn auch der Titel von Ellroys neuestem Buch - kein Krimi wie bisher, sondern die Geschichte der „Suche nach dem Mörder meiner Mutter“.

Der Amerikaner Ellroy gehört zu den bekanntesten zeitgenössischen Kriminalschriftstellern der Welt. Von vielen hochgeschätzt und bejubelt, von einigen abgelehnt, ist Ellroy einer der ganz wenigen Autoren der Kriminalliteratur, an dem kein Connaisseur dieser Literaturgattung vorbeikommt, sei es als Leser, Rezensent oder Kritiker. Die nie aufgeklärte Mordsache hat den Jungen so aus der Bahn geworfen, daß er als Heranwachsender und Jugendlicher ins kriminelle Milieu abdriftet. Dieb, Hehler, drogensüchtig und alkoholabhängig, gelang es Ellroy erst spät, sich zu fangen. Therapien, um „trocken“ zu werden, trat er zeitweilig nur mit einer Halbliterflasche Hochprozentigem an, um dem kommenden Druck und Alptraum der Entziehungskur gewachsen zu sein. Letztendlich gelingt es Ellroy doch, seinem Leben eine Wende zu geben und aus dem Teufelskreis von Drogen, Alkohol und Beschaffungskriminalität auszubrechen. Dennoch bleibt das gewaltsame Ende seiner Mutter, zu der er erst im Erwachsenenalter Zuneigung und Verstehen empfindet, ein allbeherrschendes Trauma. Ellroy, bekannt geworden durch Thriller über bestialische Frauenmörder und Serienkiller, nahm schon einmal Anlauf, dieses Trauma literarisch zu bewältigen. Die schwarze Dahlie, ein Kriminalroman über einen ähnlich gelagerten Fall, brachte ihm weltweit größte Anerkennung. Im März ’94 fliegt Ellroy nach L. A., um sich in die Mordakte seiner Mutter zu vertiefen. Für seine Recherchen versichert er sich der Mithilfe des soeben pensionierten Detectives Bill Stoner. Beide versuchen, den jahrealten Fall aufzurollen, immer in der Hoffnung, ihn doch noch lösen zu können. Trotz akribischer Ermittlungsarbeit scheitern sie. Ellroy beschreibt in seinem faszinierenden Buch nicht nur das Protokoll dieser Ermittlung, sondern zeichnet ein ungeschminktes Bild seiner Mutter als Trinkerin und Gelegenheitsprostituierte; seines Vaters als Aufschneider und Versager; gibt eine wahrheitsgetreue Innenansicht der Polizeiarbeit in einer amerikanischen Großstadt durch den zynisch wie auch resignierenden Blickwinkel Stoners. Gleichzeitig bietet Ellroy dem Leser und Krimifan im autobiographischen Teil ein schonungsloses Bild des Menschen und Schriftstellers Ellroy - eine radikal ehrliche Selbstdarstellung, die man dem Autor vor wenigen Jahren noch nicht zugetraut hätte. Als informative Ergänzung sei herzlich empfohlen: das interessante Interview der Bonner Journalistin, Kriminalschriftstellerin und Erfinderin der lebenslustigen Ermittlerin Anna Marx, Christine Grän: „Meine Helden sind Irre, na und?“ im Zeit-Magazin 35/97.

Thomas Przybilka


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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