Rezension

 

Aus unverbrüchlicher Freundschaft ...

Arwed Bouvier: Der falsche Hauptmann

Roman.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 1996, 221 S.

 

Das ist der Stoff, aus dem Komödien sind. Da gibt einer vor, jemand zu sein, der er gar nicht ist. Nur groß genug muß der Anspruch sein, damit er geglaubt wird. Gogols Revisor hielt einst die Beamtenkamarilla einer Stadt zum Narren. Der Schuster Wilhelm Voigt schaffte es, als „Hauptmann von Köpenick“ preußischen Untertanengeist vor aller Welt lächerlich zu machen. Solche Geschichten von Hochstaplern, gewollten und ungewollten Verwechslungen oder Tagträumern, die einfach mal aus ihrer Haut wollen, sind nicht neu, aber immer wieder gibt's andere Facetten zu entdecken. Das ist Arwed Bouvier mit seinem Roman Der falsche Hauptmann auf äußerst vergnügliche Weise gelungen. Und die Geschichte mußte nicht erfunden werden. Auch Schwerin hofierte in realsozialistischer Zeit einen Stadtkommandanten, der nie einer war.

Bouvier erzählt seine Version der „Schweriniade“ in naiv-märchenhaftem Ton. Da lebte in einem ukrainischen Dörfchen bescheiden Konstantin Konstantinowitsch Mischin, Veteran des Großen Vaterländischen Krieges. Auf seine alten Tage treibt ihn die Sehnsucht um nach seiner Jugendliebe Olga, die so wunderbare Kuttelflecke kochen konnte und ihm, dem Mitarbeiter der Militärkommandantur, einst in vielen abendlichen Stunden Deutsch beigebracht hat. Als die Jugendzeitungen beider Länder per Annonce ehemalige Stadtkommandanten in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands suchen, nutzt er die Gunst der Stunde. Zum Staatsjubiläum der DDR soll der ruhmreiche Bruderbund propagandistisch und sinnbildhaft aufgefrischt werden. Väterchen Mischins List gelingt. Überall, wo er sich blicken läßt, wird er mit Ehrungen überhäuft. Ein Platz im Goldenen Buch der Stadt ist ihm sicher, Orden und Medaillen regnets in Fülle, eine Kur für die lädierte Gesundheit in einer Nobelherberge, Freundschaftsgeschenke für die Lieben daheim, kein Präsidium ohne ihn, Bruderküsse gratis. Die Bilder sind bekannt. Sympathisch an Bouviers Buch ist, daß er seinen Stadtkommandanten nicht zum Operettenhelden verkommen läßt. Er ist ein Schlitzohr, weiß die Situation für sich zu nutzen, schämt sich ein bißchen und schleicht heimlich zu Frau Olga. So richtig böse sein mag man Konstantin Konstantinowitsch ob seiner Hochstapelei nicht. Bei allem bleibt er ein skurriler Alter, dessen Schwächen verständlich sind.

Die Vorgänge um den vermeintlichen Stadtkommandanten sind für Bouvier Hintergrund zu einer witzig-ironischen Sicht auf DDR-Wirklichkeit. Die eigentliche Hauptfigur ist Jonathan Kittendorf, ein Staatsdiener in mittlerer Position, der Mischin als Betreuer zur Seite gegeben wird. Während er nur mühsam und unter Gewissensqualen zu der Erkenntnis gelangt, daß Mischin ein Betrüger ist, leben seine Vorgesetzten schon lange damit. Der Stadthistoriker hat längst die Wahrheit herausgefunden. Sie alle spielen das Spiel von des Kaisers neuen Kleidern. Nicht Tatsachen zählen, sondern der Zweck heiligt die Mittel. Und die Freundschaft ist unverbrüchlich. In der Auseinandersetzung mit Mischin versucht Kittendorf mit seiner „verfehlten Biografie“ ins reine zu kommen. Er sucht nach individuellen und gesellschaftlichen Gründen für Anpassertum, vorgegebenen und selbstgezimmerten Hierarchien, Abhängigkeiten und falsch verstandener Disziplin, Verdrängung und stillem Aufbegehren. Solche Art Rückschau auf DDR-Geschichte ist nicht die schlechteste. Vor allem, wenn sie mit soviel Witz und Selbstironie betrieben wird.

Hanna Gräfe


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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