Rezension

 

Verdruß oder Vergnügen?

Christoph Buchwald/Ror Wolf (Hrsg.):
Jahrbuch der Lyrik 97/98

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München 1997, 150 S.

 

Das Jahrbuch der Lyrik ist zum Pantheon deutschsprachiger Poeten geworden. Wer sich die jährliche Vers-Versammlung ansieht, die vor allem dem tüchtigen wie konsequenten Sammler und Aus-Sammler Christoph Buchwald geschuldet ist, registriert mit Verdruß oder Vergnügen, daß sich der Herausgeber seine Lyrik-Kreise nicht gern stören läßt. Das Gros der Gedichtemacher, von Aigner bis Wühr, die diesmal mit von der Poeten-Partie sind, kommen fast alle Jahre wieder wie Weihnachten. Anlaß auch, alle Jahre wieder, zurückzudenken, sich an Lyriker von Artmann bis Zahl zu erinnern, die auch mal zu den Anthologie-Abonnenten gehörten. Was dafür spricht, daß der Radius des Buchwaldschen Lyrik-Kreises so klein nicht ist. Hatten sie nicht alle einen Platz in dem Periodikum, die in Jörg Drews diktatorisches Dichter-Kompendium Das bleibt gnädig aufgenommen wurden? Buchwalds Jahresgaben bestärken die Traditionalisten, bei ihren lyrischen Leisten zu bleiben. Das bringt den Jahrbüchern den Vorteil, eher fürs Lesen denn für den Vortrag dazu- sein. Buchwald ist ein Gläubiger. Er scharrt die nullkommanullnullneunundneunzig Prozent der Deutschsprachigen um sich, die Lyrik lesen. Möglicherweise sogar öffentlich zugeben: „Von Zeit zu Zeit les' ich Gedichte gern ...“ Diese Treuen wünschen sich Buchwald und sein diesjähriger Ko-Herausgeber Ror Wolf in einem Editorial zum Jahrbuch der Lyrik 97/98. Das Bekenntnis riskierte jüngst ein Tennis-Champion. Doch der kam nicht aus deutschen Landen. Die fünfzehnte Ausgabe des Jahrbuchs steht da, wo die erste stand. Kein Weiterkommen also? Mitnichten! Die Kontinuität des Kompendiums besteht darin, Lust auf Lyrik zu machen. Daß Lyrik nichts fürs Leben ist, ist nur für diejenigen eine gesicherte Gewißheit, die niemals Poesie probiert haben. Probe aufs Exempel machen? Der Jahrgang 97/98 könnte verunsichern. Wer hat Angst vor Lyrik? Hat jemand Angst vor Lyrik?

Christian Berger


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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