Analysen - Gespräche - Berichte - Essays

 

Spaß mit dicken Büchern

Eindrücke von einer Lesung mit Jochen Petersdorf


Buchpremiere mit Jochen Petersdorf. Den Autor besonders vorzustellen hieße die berühmten Eulen nach Athen tragen. So nimmt es nicht wunder, daß das Café Classic am Strausberger Platz beizeiten proppenvoll ist. Als immer noch Gäste kommen, holen die aufmerksamen Gastgeberinnen schnell weiße Plastik-Gartenstühle von draußen. Das paßt zwar nicht zum gediegenen Toskana-Flair, aber das stört keinen. Mit Eulen hat der Abend durchaus zu tun. Der Anlaß ist die Premiere des „dicken Petersdorf-Buches“, das gerade im Berliner Eulenspiegel Verlag erschienen ist. Es sei ein „bissel sein Lebenswerk“ sagt der Autor zu Beginn. Der Verlag drückt es werbewirksamer aus: „the best of Petersdorf.“ Auf 320 Seiten heitere Verse, satirische Geschichten, bissige Bonmots.

Lesung trifft kaum zu. Da sitzt einer am kleinen Tisch, ein Glas Bier vor sich - nur das Mikrofon will nicht ins Bild passen - und erzählt. Obwohl er seine Geschichten, flotten Sprüche, Moritaten oder Limericks selbst erfunden, zu Papier gebracht und schon x-mal vorgetragen hat, wirkt es so, als würden sie ihm grade im Moment eingefallen sein. Hin und wieder nimmt er die Gitarre und wird zum Bänkelsänger. Perfektes Entertainment würde man neudeutsch dazu sagen. Es sind bekannte Texte dabei, aus den Funzelbüchern (ach ja, jene Seite, mit der Petersdorf, gelernter Journalist, im „Eulenspiegel“ manchen Zeitgenossen heim- und erleuchtete), Sketche fürs Kabarett, Arbeiten aus den Büchern Zwischen Frühstück und Kohlrouladen und Gnade für den Jackpotknacker sowie Material für den „Eigengebrauch als kabarettistischer Reisekader zwischen Saßnitz und Suhl“. Ganz neu ist die Geschichte vom armen Tamogocchi. Als es eines Tages vom Arbeitsamt kam und überall blühende Landschaften sah, da war's verrückt geworden und mußte geschlachtet werden. Wenn Petersdorf von der Ehemaligen spricht, meint er die DDR. Für sie hat er am 3. Oktober 1990, dem Tag der deutschen Einheit, die Reminiszenz geschrieben „Was mir fehlen wird“, ein doppelbödiger Text mit Selbstironie und einer Prise Wehmut.

Ob alte Märchen oder Volkslieder - längst hat sich Petersdorf auch einen Namen als kongenialer Um- und Neudichter gemacht. Von den Bremer Stadtmusikanten über Rotkäppchen, Schneewittchen bis zum Wolf und den sieben Geißlein - alles wird von ihm parodistisch auf den Kopf gestellt. Die meisten gibt's in mehreren Varianten, in Vor- und Nach-Wende-Zeit. Vor allem seine Alltagsgeschichten vom Leben der kleinen Leute sind gespickt mit hintersinnigem Witz, ansteckendem Humor und launigen Pointen. Auch von Sabinchen, dem Frauenzimmer aus Neuenbrizzen und ihrem wechselvollen Schicksal in der Marktwirtschaft, ihrem Aufstieg von der Ladenbesitzerin zur Putzfrau, erzählt ein neues Bänkellied. Und nichts von ihrem frivolen Charme haben die Liebeserklärungen an Lilomaus eingebüßt, jenem Weibsbild, das es einst dank auch der Zeichnungen von Klamann zu DDR-weiter Berühmtheit brachte, und das Petersdorf zu vielen kessen, originellen Versen inspiriert hat. Sie dürfen bei einer Lesung nicht fehlen.

Singen kann er zwar nicht wie Frank Schöbel, da er aber dem Schlagerstar zu Zeiten der Ehemaligen manchen Hit auf den Leib geschrieben hat, ist es nur recht, wenn er gewitzt einen Erfolgstitel zum ohrwurmverdächtigen Wendelied aufmöbelt: „Mit uns könn'ses ja machen, / wir ham soviel Geduld. / Wir könn'n nur drüber lachen, / schließlich sind wir ja schuld. / Mit uns könn'ses ja machen! / Doch es macht uns nichts aus. / Solche Scherze gehn nur / mit 'ner starken Natur, / andre halten's nicht aus.“

Das Publikum würde an diesem Abend noch lange aushalten und erst nach mehreren Zugaben gibt es Ruhe.

„Die dicken Bücher von Eulenspiegel können gar nicht dick genug sein“, sagt eine Besucherin beim Anstehen in der Schlange nach einer Widmung von Petersdorf und Roland Beier, der das Buch vortrefflich illustriert hat. Recht hat sie.

Schön, daß nach dicken Büchern von Bofinger, Büttner, Jankofsky und Schrader ein weiteres hinzugekommen ist.

Gudrun Schmidt


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite