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Berlin und Brandenburg - ein Land?

Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann Berlin 1996, 286 S.

Als „Buch zur Fusion“ von Berlin und Brandenburg zu einem gemeinsamen Bundesland im Frühjahr 1996 herausgebracht, war es schon wenige Wochen später durch das plebiszitäre Scheitern der Länderfusion am 5. Mai 1996 obsolet. Doch der Kern der Sache verschwand damit nicht von der Agenda. Die im Buch vorgetragenen Ansichten und Argumente, Vorteile und Perspektiven sind so gewichtig, daß sie über den Anlaß hinaus wirken. Das rechtfertigt es, sich diesen Titel im Nachtrag noch einmal vorzunehmen.

Insgesamt 41 Persönlichkeiten aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur,
Medien und Kirche legen - jede auf ihre Weise - historische Wurzeln, politische Notwendigkeiten, fachspezifische Gründe und Zukunftsvisionen dar. Beiträge wie „Die Wurzeln des gemeinsamen Landes“ (Politologe Peter Steinbach), „Die Hauptstadtregion Berlin/Brandenburg im deutschen und europäischen Städtenetz“ (Bundesminister Klaus Töpfer) oder „Die Fusion von Berlin und Brandenburg als Vollendung der deutschen Einheit“ (Theologe Richard Schröder) sind signifikant. Zwar wird auf kritische Fragen und Haltungen hier und da eingegangen, aber immer unter dem Aspekt: „Eine bessere Alternative gibt es nicht“ (Landrat Christian Gilde). Gewißlich leuchtet ein, daß Berlin und Brandenburg in Anbetracht so vieler Gemeinsamkeiten nicht durch fortbestehende Trennung und Konkurrenz, sondern nur durch Kooperation und Fusion eine prosperierende Zukunft vor sich haben. Anderseits verdrängen die meisten Beiträge in einer euphorischen Fusionsstimmung die überwältigende Sogwirkung des Molochs Berlin auf die märkische Provinz. Allein Volker Hassemer, bis Anfang 1996 Berliner Senator für Stadtentwicklung und seither Chef der Hauptstadt-Marketinggesellschaft, bekennt sich zur „Zukunft Berlins als Metropole“, wobei er abwiegelt: „All das richtet sich nicht gegen Brandenburg.“ Doch gerade dieser Artikel drängt die berechtigte, im Sammelband weitgehend übersehene Frage auf, warum der nach der deutschen Einheit von 1990 zur Bundeshauptstadt mit Weltmetropolen-Anspruch avancierte Stadtstaat Berlin mit 3,4 Millionen Einwohnern sich mit dem brandenburgischen Flächenstaat mit „nur“ 2,5 Millionen Einwohnern partout zusammentun muß und sich überdies noch von Potsdam aus verwalten lassen soll. Ein Blick über Ländergrenzen hinaus lehrt, daß Hauptstädte mit Metropolcharakter sehr wohl einen eigenen Status brauchen (siehe London, Paris oder Washington D. C.). Inzwischen hat sich als ein effektiver Weg zur Lösung dringlicher Probleme der Berlin-Brandenburgische Koordinierungsrat erwiesen, der durch Staatsvertrag oder andere Regelungen ein Höchstmaß der Zusammenarbeit bezwecken soll. Nun ist ein neuer Anlauf zur Länderfusion bis zum Jahr 2010 bereits angekündigt worden. Ob es dann neue, ausschlaggebende Argumente geben wird, muß abgewartet werden. Die Erfahrungen der mißglückten Fusion von 1996 werden auf jeden Fall eine Rolle spielen.

Gerhard Keiderling


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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