Eine Rezension von Hans-Rainer John

Mit Erstlingswerk in die Spitzenklasse

Henry Porter: Am elften Tag, zur elften Stunde
Roman. Aus dem Englischen von Fred Kinzel.
Karl Blessing Verlag, München 2000, 384 S.

Die Zeitungen berichten von solchen Terroranschlägen Tag für Tag: Wieder haben Albaner, Palästinenser, Basken oder Iren ferngelenkt oder per Selbstmordkommando Bomben in Personenkraftwagen oder Autobussen gezündet. Wenn hier nicht auch der Stoff für einen Thriller zu finden ist ...

Der Engländer Henry Porter, schätzungsweise um die Fünfzig bereits, in London und New York bisher nur journalistisch tätig (für „Evening Standard“, „Guardian“ und „Observer“), hat für sein Romandebüt davon Gebrauch gemacht. Es benutzt alle Versatzstücke des handelsüblichen Krimis und Agentenromans. Es gibt in Personenführung und Handlungskonstruktion kaum neue Züge. Und doch hat sich Porter bereits mit seinem Erstling in die Spitzenliga katapultiert, die von Namen wie Ken Follett und Frederick Forseyth markiert wird. Ursache ist die meisterliche Konstruktion der Fabel, die absolut schlüssig ist, jeder Analyse standhält und die Spannung wirklich bis zum Schluß aufrechterhält, die Fähigkeit, Charaktere in kurzen Strichen und mit aussagekräftigen Details plastisch und glaubhaft zu umreißen, und eine Sprache, die geschmackvoll ist, fast literarisch, und die ohne Stocken leicht dahingleitet. (An dieser Stelle auch ein Lob der Übersetzung von Fred Kinzel.)

In London ist ein Bus der Linie 147 in die Clarence Street eingebogen und von einer Bombe zerrissen worden. Tote und Verletzte liegen umher - ein Bild des Entsetzens. Eine weitere Untat der IRA? Wem galt sie? Wer verübte sie? Der britische Geheimdienst hat Anhaltspunkte, die auf einen ehemaligen Mitarbeiter als Täter verweisen, einen verbitterten Armeeoffizier, lenkt aber den Verdacht des ermittelnden Scotland Yard auf den jungen Mikrobiologen Con Lindow, einen Iren, der gerade aus Massachusetts zugezogen ist. Commander Foyle erkennt jedoch sehr bald, daß der Falsche verhaftet wurde. Als Con zwangsläufig freikommt, wird aus dem Verdächtigten ein Verfolger, denn Con will wissen, wer seinen Bruder auf dem Gewissen hat, der im Bus saß. Foyle dagegen wird von dem Fall freigestellt, weil er keinen schnellen Erfolg vorzuweisen hat. Das zwingt Lindow und Foyle zur Zusammenarbeit hinter dem Rücken von Scotland Yard und britischem Geheimdienst.

Die Verfolgungsjagd führt zunächst nach Irland, wo Con auf Mary Menihan, eine faszinierende Frau, trifft - „In Mary hat er das gefunden, wonach er nicht einmal zu suchen gewagt hatte“ -, die ihn auch nach Boston begleitet, wo er das Geheimnis des Bruders enthüllt. Eamon Lindow hatte sich in aller Stille zu einer führenden Kraft der IRA entwickelt, und der Anschlag auf den Bus galt sowohl ihm als auch Con, der mit ihm verabredet war, und er geht auf ein Ereignis zurück, das viele, viele Jahre zurückliegt.

In London gibt es inzwischen weitere Anschläge, und die Suche nach dem Täter gestaltet sich kompliziert, weil eine Bombe im Zeitalter des Mobiltelefons, Computers und Laptops länderweit entfernt gezündet werden und der unmittelbare Verursacher ein Unwissender oder Unbeteiligter sein kann, oder zum Beispiel der ermittelnde Kommissar selbst. Natürlich stellt sich heraus, daß Mary keine Zufallsbekanntschaft war, sondern Con im Auftrag der IRA oder des britischen Geheimdienstes (oder beider) überwacht. Und schließlich gehen die Hauptbemühungen nicht um die Ermittlung des Täters, sondern um die Aufklärung der Intrigen, die zwischen dem britischen Geheimdienst und Scotland Yard geschmiedet werden.

Als schließlich alles aufgeklärt ist (die Lösung aller Rätsel, sonst meist ein matter, lediglich informativer Nachsatz aller Krimis, ist hier geschickterweise weit vorverlegt und organisch mit der Handlung verknüpft), droht erst der Supergau. Der inzwischen getötete Hauptschuldige hat ein Massenschlachten im Londoner Zentrum vorprogrammiert, das sogar das Königshaus bedroht. Bei Abwendung der Gefahr muß zum tiefen Kummer von Con dann noch die inzwischen rehabilitierte Mary ihr Leben lassen, sonst beschiene ja auch zuviel Sonne das Finale, aber es wird noch mal spannend bis zur letzten Seite.

Wie gesagt: Die Einzelteile des Puzzles haben durchaus Wiedererkennungswert. Fast alles war in der einschlägigen Literatur schon einmal da - der unschuldig Beschuldigte, der diskreditierte Kommissar, die als Frau faszinierende Agentin, der intellektuell raffinierte Täter, die Kabale zwischen Polizei und Geheimdienst um Einfluß und Postengerangel, welche die Ermittlungen erschwert. Aber wie die Elemente gehandhabt, neu zusammengesetzt, dramaturgisch komponiert, literarisch geformt werden, wie die neueste Technik einbezogen wird, das hat schon Format, vermittelt Spannung und Lesegenuß zugleich und ist bei einem Erstlingswerk aller Anerkennung wert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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