Eine Rezension von Monika Melchert

Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Roman.
Aus dem Spanischen von Elke Wehr.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2001, 538 S.

Batista in Kuba, Somoza in Nikaragua, Perón in Argentinien oder Trujillo in der Dominikanischen Republik stehen für ein Jahrhundert blutiger Diktaturen in Lateinamerika, für Diktatoren, deren Völker sie nicht ohne gewaltsamen Umsturz loswurden. Mario Vargas Llosa, der weltbekannte peruanische Schriftsteller, nahm sich nun mit seinem dreizehnten Roman der Trujillodiktatur und ihres dramatischen Endes an. Was er erzählt, ist der letzte lange Tag im Leben des siebzigjährigen Dr. Rafael Leónidas Trujillo Molina, und zugleich ist es die lange Geschichte seiner einunddreißig Jahre währenden ungeheuerlichen Inbesitznahme und Ausblutung des Landes auf der schönen Insel Hispaniola. Er hatte die Dominikanische Republik einerseits in die moderne Zeit geführt, sie andererseits aber mit eisernen Griffen ganz in sein Eigentum verwandelt, in dem alle Funktionsträger seine treuen Vasallen sein mußten und jegliche Demokratiebestrebungen mit grausamer Brutalität ausgeschaltet wurden. Ein durch und durch spannender, an dramatischen Höhepunkten reicher Stoff, den ein so erfahrener und gewandter Romancier wie Vargas Llosa unbedingt zu einem packenden Buch verarbeiten konnte. Seine großen Romane wie Das grüne Haus (sein bestes Buch, sagen viele), Der Krieg am Ende der Welt oder in den neunziger Jahren Tod in den Anden haben ihn zu einem der bedeutendsten und meistgeehrten Schriftsteller seines Kontinents gemacht. Nach einigen modischen und beinahe unpolitischen Büchern des letzten Jahrzehnts ist Vargas Llosa mit Das Fest des Ziegenbocks wieder zu den besten Traditionen seines eigenen Erzählens zurückgekehrt.

Der Autor läßt eine fiktionale literarische Figur, die Anwältin Urania Cabral, nach fünfunddreißig Jahren Leben in den USA, erstmals in ihr Land zurückkehren und ihren alten, gelähmten und sprachlosen Vater im Rollstuhl aufsuchen, der damals, in der Trujillo-Ära, einer der hohen Würdenträger des Landes war, Minister und Senatspräsident, der jedoch kurz vor dem Attentat auf den Diktator im Mai 1961 in Ungnade gefallen war. Seine vierzehnjährige Tochter war damals in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit Hilfe nordamerikanischer Nonnen ihrer Klosterschule in die USA ausgereist, ohne daß der Leser über weite Strecken erfährt, was es damit auf sich hatte. Dieser Erzählstrang windet sich durch die Haupthandlung hindurch, die von dem tödlichen Anschlag der sieben mutigen Verschwörer gegen den Diktator, ihrer anschließenden Verhaftung und grausamen Ermordung durch trujillotreue Militärs und Geheimdienstleute erzählt. So bilden Vergangenheit und die Gegenwart Mitte der neunziger Jahre ein dichtes Gewebe, aus dem der Autor mit sprachlicher Präzision und Hunderten Details ein Porträt dieser schillernden Gestalt des selbstherrlichen Diktators herausarbeitet. Vor allem spart er die verschlungenen Abhängigkeitsverhältnisse nicht aus, die die Geschöpfe von Trujillos Machtapparat durch Privilegien, Schenkungen und Scheinrepräsentation an das Schicksal des „Chefs“, des Generalissimus und „Wohltäters der Nation“binden. Ein unentwirrbares System aus Vergünstigungen und Komplotten. So wird der Roman zu einem wahren Politthriller, ohne jedoch darin aufzugehen. Denn darüber hinaus vermag es Vargas Llosa, in die Psyche einiger der Hauptfiguren hineinzuleuchten und die Tiefendimension von Existenzweisen unter einer Diktatur einsehbar zu machen. Das betrifft insbesondere die sieben Attentäter, allesamt Angehörige von bislang trujilloergebenen, angesehenen Familien, zum Teil selbst hohe Militärs, die es an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben nicht mehr mit ihrer persönlichen Ehre vereinbaren können, diesem bösen Schwindel weiter zuzustimmen. Das betrifft, neben Ministern und dem Geheimdienstchef, aber auch den schlau durchtriebenen, eher unauffälligen Joaquín Balaguer, den der Diktator zum Marionettenpräsidenten der Republik eingesetzt hat und dem es gelingt, auch nach Trujillos Tod Präsident der Dominikanischen Republik zu bleiben, neue Leute hinter sich zu bringen und sogar die UNO davon zu überzeugen, daß sein Land nun zur Demokratie übergehen werde.

„El Chivo“, der Ziegenbock, der Hurenbock, ist die im Volk verbreitete Metapher für Trujillo, der sich neben seiner uneingeschränkten politischen Herrschaft auch das Recht über die Mädchen und jungen Frauen seines Landes herausnimmt, der - angeblich, um ihre Väter zu ehren oder zumindest willfährig zu machen -, ihre schönen Töchter „flachlegt“, wann und wie oft auch immer es ihn danach gelüstet. So geschah es auch jener blutjungen Urania Cabral, die - vom eigenen Vater preisgegeben - nicht wußte, wie ihr geschah, als der alternde Diktator eines Tages auch sie haben wollte, wobei sein Körper ihm aber nicht mehr gehorchte und das Mädchen unfreiwillige Zeugin seiner Niederlage werden mußte. Von da an hatte Urania ihren Vater nie mehr wiedersehen wollen und konnte ihr Leben lang keinen Mann in ihrer körperlichen Nähe ertragen. Dieses Fest des Ziegenbocks hat, wie so oft geschehen, das Leben des heranwachsenden Mädchens für immer zerstört. Ihr Vater und „seine Exzellenz“, männliches Machtkalkül, haben aus ihr „eine Wüste gemacht“.

Mario Vargas Llosa hat für diesen Roman in Santo Domingo, das damals in „Ciudad Trujillo“umbenannt war, ausgiebige Archivstudien betrieben, Zeitzeugengespräche geführt und die Sachlage so genau wie möglich eruiert. Er ging also ganz anders vor als seinerzeit Gabriel García Márquez in seinem meisterhaften Roman Der Herbst des Patriarchen (1977, dt. 1978), in dem er den Typus des lateinamerikanischen Diktators aus zwei Jahrhunderten Geschichte auf einer gewissermaßen mythologischen, verallgemeinerten und verdichteten Höhe gestaltete, die mehr bloßlegte als manches unmittelbar politische Buch und seine enorme analytische Wirkung bis heute entfaltet, wann immer man an Diktaturen in Lateinamerika denkt. Legitim sind natürlich beide Herangehensweisen. Der Peruaner verläßt sich ganz auf die zeitgeschichtlichen Details seiner Geschichte. Die hochgesteigerte Spannung des Romans erwächst zu einem guten Teil aus der simultanen Erzähltechnik, mit der er die parallel ablaufenden Handlungslinien in der Villa des Diktators, im Präsidentenpalast vor dem Attentat und danach in den verschiedenen Verstecken der an dem Anschlag Beteiligten nachzeichnet. Von den sieben Verschwörern werden fünf gefangen, entweder sofort getötet oder in wochenlangen unmenschlichen Torturen von Trujillos Erben grausam umgebracht. Man braucht starke Nerven für die Lektüre. Nackte Angst und jahrzehntelange Einschüchterung hatten im Land ein Klima von Unterwürfigkeit erzeugt, das noch nach der Ermordung des „Chefs“verhinderte, daß mehr Dominikaner die Zivilcourage aufbrachten, den Verfolgten beizustehen. Zwei der Gesuchten aber werden von mutigen Zeitgenossen über Monate versteckt, bis ein halbes Jahr nach dem Tod des Diktators endlich die Familie Trujillo außer Landes geht und in der Dominikanischen Republik ein relativer Frieden einzieht. Dieses simultane Erzählen hat für den Leser den Vorzug, jederzeit anwesend zu sein auf den Schauplätzen des Geschehens und alle Phasen des Handlungsprozesses unmittelbar mitzuerleben. Vargas Llosa nutzt sein versiertes Können, um die vielfältig ausgelegten Fäden eines Geschichtspanoramas erzählerisch zusammenzuknüpfen und dieses kleine Land in der Karibik in die weltpolitische Lage der beginnenden sechziger Jahre einzubinden. So wird am Ende des Romans einsichtig, „daß die Menschen allmählich die Angst verloren oder, besser gesagt, daß sich der Zauber löste, der so viele Dominikaner dazu gebracht hatte, sich mit Leib und Seele Trujillo auszuliefern“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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