Eine Rezension von Bernd Heimberger

Camille chancenlos?

Barbara Leisner: „Ich mache keine Kompromisse“. Camille Claudel
Paul List Verlag, München 2001, 281 S.

War's denn wirklich so ein Drama, daß daraus ein Drama für die Bühne gemacht werden mußte? Manches war wirklich dramatisch im Leben der Bildhauerin Camille Claudel. Tatsächlich tragisch war die jahrzehntelange Inhaftierung der Künstlerin in einer Nervenheilanstalt. Der fast zwei Jahrzehnte währenden Beziehung zu Auguste Rodin fehlte es nicht an Dramatisch-Tragischem. Die Ursache für die Tragik der Camille Claudel war Rodin gewiß nicht. Szenen der Beziehung Camille-Auguste sind brauchbarer Stoff für theatralische, filmische, literarische Inszenierungen gewesen. Über Camille, das erklärte Opfer, will die Welt immer wieder was und immer mehr wissen. Die Tür zu ihrer Biographie ist inzwischen weit geöffnet. Der Eintritt ins Leben der Claudel ist frei, und jeder kann darin herumtrampeln.

Nicht großspurig als „Die Biographie“ propagiert, hat nun auch Barbara Leisner eine Lebensgeschichte der ältesten Claudel-Tochter geschrieben. Barbara Leisner ist nicht die brillante Analytikerin und Autorin, die der Welle der Beachtungen, Betrachtungen, Beschreibungen der Künstlertragödien Auftrieb geben kann. Das Buch der Verfasserin ist ein vielteiliger Volkshochschulkurs. Die Referentin hat alles zur Verfügung Stehende gut geordnet, um die Geschichte eines Menschen vorzutragen, der mehr wollte, als das Leben zuließ.

Genaugenommen waren die Anfänge der Künstlerin so beschwerlich nicht, die Nachteile berücksichtigt, derer sich die Frauen ihrer Zeit zu wehren hatten. Genaugenommen war die Beziehung zu Rodin kaum dramatischer, als Beziehungen allgemein so sind. Das Drama, wenn’s denn eins war, war das Drama, dem Kreative stets ausgesetzt sind, sobald sie versuchen, mit ihrer Entschlossenheit, Entschiedenheit, Energie in der realen Wirklichkeit zu bestehen. Das subjektive Daseinsdrama ist nicht Leisners Thema. Wer mehr zur Geschichte des Lebens, des Arbeitens der Bildhauerin, der Bindung des Künstler-Paares sagen möchte, muß was wissen über die einzigartige Wesensart, das einzigartige Wollen der Camille. Wer weiß? Wer wagt’s? Leisner, die in erzählerischen Passagen den Eindruck erweckt, für Claudel zu stehen und einzustehen, kennt nur eine Gefühlsregung Camilles, für die die Verfasserin zwei Vokabeln hat. Und so sehen wir betroffen das Mädchen, die Frau mal mit „klopfendem Herzen“, mal mit einem „Herz, das heftig pochte“. Wer das erträgt, dem treiben auch die altjüngferlichen Beschreibungen der Liebe zwischen Camille und Auguste nicht die Tränen in die Augen. Für die schöne wie schwierige Lebens-Liebes-Beziehung des Paares hat Leisner keine Worte. Sie beginnt die Liebesbeziehung mit dem Satz: „Wahrscheinlich vergaß sie sich selbst in dem ersten langen Kuß, zu dem er sie voller Sinnlichkeit und Begierde in seine Arme zog.“ Der Satz, der vielen Sätzen gleicht, ist auch ein Drama. Für wen? Die Autorin? Die Leser? Die Biographie? Für alle!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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