Eine Rezension von Bernd Heimberger

Verfeinerte Vereinzelung?

Johannes Jansen: Verfeinerung der Einzelheiten
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2001, 28 S.

So überrascht sollte Suhrkamp nicht tun! Fast wäre dem Verlag Johannes Jansen durch die Lappen gegangen. Wer auf Jansen achtete, kennt bereits den „spürbar veränderten Ton“, mit dem sich der Autor, wie es heißt, jetzt bei Suhrkamp zurückmeldet. Im österreichischen Ritter Verlag wurde im Vorjahr die Prosasammlung Kleines Dickicht veröffentlicht. In ihr war der veränderte Ton deutlich zu hören. Deutlicher als in Verfeinerung der Einzelheiten, dem vierten Band des Johannes Jansen, der in der edition suhrkamp erschien.

Jeder einzelne Text ist ein Detail des ganzen Denkens des Verfassers, dessen Gedanken mit den Details und dem Ganzen beschäftigt sind. Detail und Ganzes sind die am häufigsten wiederkehrenden Vokabeln. Es geht um die Details des Seins im Ganzen. Im Selbstbefragen ist sich Jansen treu. Nicht die Konzentration der Fragen wie die Konzentration im Fragen sind neu. Neu sind die Konsequenz des Fragenden und seine Konsequenzen. Aus sich heraus, für sich und so sich selbst genug zu sein, genügt dem 1966 Geborenen offenbar nicht mehr. Der Jugendliche, der sich darin gefiel, sein Selbstgeschriebenes selbst zu drucken, zu illustrieren, zu binden und zu vertreiben, ist aus der autarken Enklave ausgebrochen, ohne sich mit der Außenwelt zu verbrüdern. Jansen kann die gelernte, angestrebte Vereinzelung „belachen ..., ohne sie zu verlachen“. Unentschiedenheit als einziges erhaltenes, also akzeptiertes Prinzip macht es leichter, im Protest gegen Vereinzelung und Vermassung zu sein. Der Masse nicht zu Munde redend, ihr aber auf den Mund schauend, läßt sich Jansen nicht den Mund verbieten. Insofern trifft der Autor auch immer wieder den alten Ton, den der Wunsch dirigiert, „tiefgründig zu leben“, was bedeutet, „sich dann doch nicht retten zu können vor lauter Tiefsinnigkeit“.

Die Tiefsinnigkeit ist in Verfeinerung der Einzelheiten gesteigert wie in keinem anderen Buch des Schriftstellers. Verfeinerung hat sowenig mit Vereinfachen wie mit Komplizieren zu tun. Gründlichkeit der Gedanken macht die Tiefsinnigkeit der Texte. Sie sind Reaktionen auf Realitäten, die den Autor nicht zu Schilderungen der Realität verpflichten. Die Gedanken gerinnen zu Reflektionen, von denen die dazugehörigen Geschichten ferngehalten werden. Anders als in Kleines Dickicht, wo Gedanken ihre Geschichten bekommen. Die vielen Geschichten und die Zeitgeschichte, die in den Gedanken-Texten stecken, erfährt, wer sie sich erliest. Bilder der realen Welt werden bei Jansen schnell zur surrealen Bildern, die mit eigenen Welt-Bildern einiges oder gar nichts gemein haben können. Die Prosastücke poetisieren die Philosophien, die Johannes Jansen philosophiert. Nicht, um sich abzuschotten und so zu schützen. Die Kultur des Wissens soll sich Weite gewinnen. Jansen macht seinen Kopf auf, um Köpfe zu öffnen. Monologe sollen Dialoge ermöglichen. Das „Berechnende Einfalt“ nennen? Es ließe sich ebenso gut ein anderes Wort des Autors aufnehmen. Nämlich: „Eigentlich träumen wir ja.“ Im Grunde sind die Texte Texte eines Träumers, dem die Wirklichkeit längst alles andere als eine Träumerei ist und der sich keine verträumte Welt wünscht. Traum wird zu teuer, wenn Traum nie Tat wird. Die Texte sind die Tat des Johannes Jansen, der sich nicht irgendwo eingerichtet hat in Wirklichkeit, den das Einrichten der Wirklichkeit kümmert, um nicht eingerichtet zu werden. Das ist mehr als das Treffen eines „veränderten Tons“. Auch wenn, nach allen Zeilen, am Schluß noch einmal der Zweifel zum Zuge kommt, der lautet: „... ob es nicht besser gewesen wäre, in der Vereinzelung zu verharren.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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