Eine Rezension von Bernd Heimberger

Geborgte Geborgenheit

Johannes Jansen: Kleines Dickicht
RITTER DRUCK und Verlags-KEG, Klagenfurt 2000, 111 S.

Plötzlich merkt man, die Jungen sind auch nicht mehr die Jüngsten. Jungenhaftes Aussehen täuscht nicht darüber hinweg, daß der 34jährige Johannes Jansen seine Jugendzeit hinter sich hat. Gut so. Auch das. Die gehabte Zeit hat Jansen reichlich Biographie gegeben. Biographisches ist guter Anlaß fürs Schreiben. Was der Mann, der über „Das dreißigste Jahr“ hinaus ist, her- und herausgibt, ist glaubwürdig, weil Gestalt und Geschriebenes identisch sind. Der Junge hatte etwas schön Alt-kluges. Er hatte, in seiner Unsicherheit, etwas Selbstsicheres. Jansen schrieb seine Bücher nicht nur. Er illustrierte, druckte, band und vertrieb sie. Der Solist war ein Solitär. Keine Szene wollte ihn. Er wollte keine Szene. Kleines Dickicht, die neueste Veröffentlichung des Deutschen im risikobereiten österreichischen Ritter Verlag, ist ein weiteres Beweisstück für Johannes Jansens Eigenart und Eigenständigkeit.

Im selbst abgesteckten Sprachforum führt der Schriftsteller Szenen einer Kindheit auf. Sofort kommen einem eine Menge Filmbilder und literarische Passagen in den Sinn. Jansens Kindheits-Jugendbilder sind keinen Kunstbildern nachgebildet. Kleines Dickicht sind Lichtschimmer, die aus dem Türspalt des Kindheitszimmers kommen. Jansens erzählerisch-essayistische Erinnerungen sind nichts ohne seine Altklugheit, die aufgelockert ist durch aphoristische Leichtigkeit, die eine gute besinnlich-besinnende Nachdenk-Prosa möglich macht. Jansen spricht als bekennendes Großvater-Großmutter-Kind. Auf „Geborgenheit aus ..., die beinah schon mütterlich zu nennen ist“, garantiert dem Kind das Groß-Mütterliche am ehesten die Geborgenheit. Was wissen Kinder davon, deren Großmütter angstvoll in Computerkursen hocken, um nicht von der Welt abgekoppelt zu werden? Der älter gewordene Autor betrachtet eine Welt, die nicht von dieser Welt scheint. Es ist jene Welt, die die der DDR war, in der Jansen erwachsen wurde. Eine Welt, die durchaus ausreichte, um in Andeutungen die ganze Welt zu deuten. Jansen muß nie viel ausführen, um für sich und die Leser im Allgemeinen das Besondere zu entdecken. Je weiter man mit der Textsammlung kommt, desto stärker der Eindruck, der Autor setzt Punkt um Punkt. Die Leser haben die Chance, sich ihre Sätze zu schreiben.

Johannes Jansens Texte literarische Miniaturen zu nennen ist so richtig wie unrichtig. Die Texte sind die ver-dichtete Prosa eines Schriftstellers, der das Pfund der Philosophie wiegt und wiegt. Er weiß, daß es nicht aufzuwiegen ist. Pfund bleibt Pfund, so viele Pfunde auch hinzukommen, solange die Welt die Biographie anreichert. Nie verläßt einen die Geschichte der Kindheit, nie die Geschichte der Welt, selbst wenn die Geschichte ein Land aus der Gegenwart entläßt. Auf welchen Wegen der Welt Jansen auch immer ist, ob in Istanbul oder San Francisco, er ist immer auf den Wegen des Johannes Jansen. Aus den Bildern der Welt seine Lebens-Welt-Bilder zu entwickeln, entspricht dem bildnerischen Wesen, das Jansen ist. Soviel Wirklichkeit er an- und aufnimmt, seine Phantasie ist seine Wirklichkeit. Das heißt begriffen zu haben, daß Sprache nicht in der Sprache stattfindet, Harmonie nicht in der Harmonie, Ordnung nicht in der Ordnung, Ruhe nicht in der Ruhe. Und so weiter, und so fort! Die tatsächliche Kindheit findet in der erinnerten Kindheit statt, die tatsächliche Welt in der reflektierten. Hinter der realen Welt ist die surreale, die die wahre Welt ist. Jansen sieht die surreal-wahre Welt als reale und zeigt sie in seinen sinnreichen Szenen. Das ist seine Art, Antwort zu geben, sofern er sie geben will. Der Blick auf und in die eigene Biographie ist die beste Antwort, auch wenn der Autor häufiger vom Hemd spricht, das er für die Haut hält. Um mögliche Mißverständnisse zu vermeiden, stellt der Schriftsteller Schlußsätze gern auf Stelzen, die von dem jungen Altklugen stammen könnten. Ach ja, so ist das, wenn die Kindheitsmuster in der DDR geprägt wurden. Es wird mehr gedacht, dialektischer, didaktischer. Johannes Jansen ist ein Dialektiker. Gott sei Dank! Um so weit zu kommen, müssen Jungen noch auf viel Geschichten und Geschichte warten!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
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