Eine Rezension von Manfred Lemaire
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Ein Kommissar in Triest

Veit Heinichen: Gib jedem seinen eigenen Tod
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001, 331 S.

Im Mittelpunkt dieses Kriminalromans agiert der italienische Kommissar Proteo Laurenti. Er bekommt viel zu tun, als sich in Triest mehrere schwere Verbrechen ereignen. Morde alten und jüngsten Datums sind aufzuklären. Die Häufung ist nicht eben typisch für die etwas verschlafene Hafenstadt an der nördlichen Adria. Je mehr der Polizist im Umfeld der Verbrechen recherchiert und die Fäden aufzudröseln sucht, die sich um jede der Bluttaten ranken und sie miteinander verbinden, desto klarer wird ihm, wie auch dem Leser, daß hier ein kriminelles Geflecht von beträchtlichen Ausmaßen aufzudecken ist. An Vielfalt mangelt es ebenfalls nicht: Erpressung von Honoratioren der Stadt mittels delikater Fotos, Bestechung von nehmefreudigen Beamten, Kauf und Verkauf von osteuropäischen Novizinnen des ältesten Gewerbes, Veruntreuung von Hilfsgütern der EU, die für Ex-Jugoslawien und die Türkei bestimmt sind. Das bisher relativ unbescholtene Triest scheint sich mit dieser Palette – Rauschgift ist ebenfalls im Spiel – dem kriminellen Standard westeuropäischer Hafenstädte anzunähern. Diesen Schluß legt der literarische Erstling von Veit Heinichen jedenfalls nahe.

Bei Zsolnay sind bereits mehrere unverwechselbare Krimis von Henning Mankell erschienen (jüngst Der Mann, der lächelte). Sein bedächtiger Kommissar Kurt Wallander ist inzwischen eine Bestseller-Figur geworden. Nun also präsentiert derselbe Verlag einen neuen Polizisten an einem neuen Standort, der übrigens geopolitisch durchaus interessant ist. Es bietet sich an, den Italiener Laurenti mit dem Schweden Wallander zu vergleichen. Ohne dies in extenso versuchen zu wollen, darf man immerhin sagen, daß Laurenti eine akzeptable, glaubhaft agierende Hauptperson abgibt. Sie steht Wallander nur wenig nach, wenngleich an diesem mehr schriftstellerische Ziselierung erkennbar wird. Selbstverständlich, so will es die in England begründete Tradition, haben beide Kriminalisten ihre individuellen Eigenarten und mehr oder minder liebenswerte Schwächen. In dem Punkt ähneln sie sich. Das ist sogar angenehm. Der knallhart zuschlagende Polizist mit unfehlbarem Riecher, locker sitzendem Colt und schnoddriger Schnauze voll stereotyper Sprüche ist in Europa zum Glück nicht heimisch. (In den USA ist diese Figur oft auf die Beine gestellt, aber nur selten zu dauerhaftem Leben gebracht worden.)

Die Handlung, die uns hauptsächlich in Triest dargeboten wird, ist schlüssig, birgt genügend Spannung und bleibt überschaubar. Einige Randfiguren und Nebenhandlungen wären verzichtbar gewesen. Im Grunde ist nur Commissario Laurenti voll ausgearbeitet, während seine Mit- und Gegenspieler blaß erscheinen, wenig Kontur und Gesicht haben. Dagegen wird der Stadt Triest viel Kolorit gegeben, vielleicht sogar etwas zuviel an Details. Wie all die Straßen heißen und wohin sie führen, ist für einen Stadtführer wichtig, für einen Krimi kaum. Dem Autor muß jedoch seine erkennbare Zuneigung zu Triest zugute gehalten werden. Seine Liebe gilt unverkennbar dieser Stadt, die er seit Jahrzehnten kennt und in der er lebt, nachdem er 1999 aus dem von ihm mitbegründeten Berlin Verlag ausgeschieden ist. Kommissar Laurenti dürfte nicht zuletzt deshalb eine gelungene Figur geworden sein, weil auch sein Schöpfer sich in Triest zu Hause fühlt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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