Eine Rezension von Eberhard Fromm

Anekdoten vom letzten Gang

Werner Fuld: Lexikon der letzten Worte
Letzte Botschaften berühmter Männer und Frauen von Konrad
Adenauer bis Emiliano Zapata.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 2001, 212 S.

„Sage mir, wie du stirbst, und ich sage dir, wer du warst“, zitiert der Herausgeber Werner Fuld (* 1947) in seinem Vorwort einen Autor - und führt damit seine eigene Sammlung eigentlich von vornherein ad absurdum. Denn tatsächlich geht es immer darum, w i e man stirbt, nicht aber darum, was man „in der Stunde des Todes“ sagt. Denn wer weiß schon im voraus, daß dies seine „letzten Worte“ sein werden? Eigentlich doch nur jene, die bewußt in den Tod gehen. Bei den Selbstmördern wird man vergeblich nach letzten Worten suchen, weil es in der Regel keine Zeugen gibt. Hier gäbe es jedoch eine reiche Quelle in den hinterlassenen schriftlichen Botschaften. Und auch von jenen Menschen, die hingerichtet werden, sind die letzten schriftlichen Zeugnisse aussagekräftiger als der letzte Satz, bevor der Henker kommt.

Bei den meisten anderen Sterbenden ergeben sich die oft so lapidaren „letzten Worte“ daraus, daß sie es für den Sterbenden gar nicht sind, sondern im nachhinein dazu stilisiert werden. Denn die Menschen spüren zwar, daß der Tod nahe ist, können aber nicht seinen Zeitpunkt bestimmen. Wollte man also eine tatsächliche und ernsthaft gemeinte Sammlung „letzter Botschaften“ zusammentragen, dann müßte man sich auf jene mündlichen und schriftlichen Aussagen stützen, die der Sterbende wirklich als seine Abschiedsworte verstanden wissen wollte.

Das hat Werner Fuld hier aber nicht im Sinn. Er legt eine Sammlung von Anekdoten über angeblich „letzte Worte“ vor, etwa nach dem Muster: „Der Komponist Johannes Brahms (+ 1897) nahm noch ein Glas Wein: ‚Oh, das schmeckt gut. Danke.‘“ (S. 32) Dabei kommt es wohl auch nicht auf den Wahrheitsgehalt an, was nach Fulds Meinung auch nicht so wichtig ist, weil sich ja die Nachwelt mit diesen „letzten Worten“ ihre eigene Vorstellung von dem Verstorbenen schaffe.

So ist natürlich der Anspruch eines Lexikons nicht einzulösen; vielleicht ist er ja auch eben so unernst gemeint wie die Behauptung, es handele sich hier um letzte „Botschaften“ von „berühmten“ Männern und Frauen. Die Botschaft von Thomas Mann wäre danach, daß er zuletzt nach seiner Brille verlangte und mit ihr in der Hand entschlief (vgl. S. 126); von Friedrich Hölderlin erfahren wir als „Botschaft“, daß er Lieder seiner Kindheit vor sich hin sang (vgl. S. 97). Und auch der Hinweis auf die „berühmten“ Leute erfolgte wohl mit einem Augenzwinkern. Denn ob nun die Gangster Albert Anastasia und George Appel, der Senator Solomon Foot und der Brite Henri Fox oder ähnliche Gestalten zu den Berühmtheiten zählen, ist mehr als fragwürdig. Überhaupt hat der Herausgeber eine Vorliebe für Leute wie Diebe, Killer, Serienmörder usw., wovon man weit über dreißig in der Sammlung findet. Und auch bei namhaften Persönlichkeiten hat man den Eindruck, daß Fuld bemüht ist, sie selbst aus dem Kreis der Berühmtheiten auszuschließen: So lesen wir vom „sehr vergänglichen Ruhm des deutschen Schriftstellers Heinrich Böll“ (S. 29); oder: den Namen Alexander von Humboldt verbinde man „heute nur noch“ mit der Berliner Universität (vgl. S. 99).

Viele der letzten Worte kann man nicht ernst nehmen, weil die biographischen Fakten belegen, daß diese Personen ohne Zeugen gestorben sind oder aber die hier zitierten Worte auf keinen Fall zu diesem Zeitpunkt gesprochen haben. Recht oberflächlich erscheinen auch solche Feststellungen, daß Napoleon seinen Nachruhm nicht den Historikern, sondern dem Dichter Béranger verdanke (vgl. S. 24); oder die Erkenntnis, daß Hindenburg die Dolchstoßlegende erfunden und damit die rechtskonservativen Kreise gesammelt habe und damit die Regierung Hitlers ermöglichte (vgl. S. 94).

Wer zu diesem Buch greift, darf also weder echte lexikalische Informationen, noch bedenkenswerte „letzte“ Botschaften, noch eine repräsentative Auswahl berühmter Persönlichkeiten erwarten. Dafür bekommt man gute und weniger gute Anekdoten geboten, wie sie Werner Fuld bereits früher unter den Titeln „Als Kafka noch die Frauen liebte“ und „Als Rilke noch die Polka tanzte“ herausgegeben hat. Ein passender Titel in diesem Stil wäre vielleicht gewesen „Als sich der Polizistenmörder Georg Appel in einen Brat-Appel verwandelte ...“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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