Eine Rezension von Sabine Kaldemorgen

Bei Anwendung Tod - In Die Übersetzung von Pablo De Santis werden Täter zu Opfern

Pablo De Santis: Die Übersetzung
Roman.
Aus dem Spanischen von Gisbert Haefs.
Unionsverlag, Zürich 2000, 151 S.

„Um den notwendigen Schwung zu erreichen, den stetig-starken Fluß, der das Buch bis zum Ende trägt, sollte man warten, bis man spürt, daß die Story ans Licht drängt.“ Den inneren Schub, von dem die amerikanische Krimiautorin Patricia Highsmith spricht, scheint auch Pablo De Santis zu spüren. Der argentinische Vielschreiber hat es mit 37 Jahren bisher auf ein Dutzend Kinder- und Jugendbücher, mehrere Romane und Essays gebracht, die er neben seinen Brotberufen als Drehbuchautor, Texter für Comics und Redakteur für Boulevardzeitungen schrieb. Mit Die Übersetzung erscheint erstmals ein Buch von ihm auf Deutsch.

Die Kriminalgeschichte ist eine wohltuende Abwechselung in einem Genre, das hierzulande durch immergleiche Motive wie Russenmafia und Inzest strapaziert wird. Während eines Übersetzerkongresses in dem abgelegenen Küstenort Puerto Esfinge – Hafen der Sphinx – sterben einige Teilnehmer unter seltsamen Umständen. Pablo De Santis versammelt seine Figuren in der Abgeschiedenheit eines baufälligen Hotels und erhellt das düstere, trostlose „setting“ durch eigenwillige Persönlichkeiten. Valner, die graue Eminenz seiner Zunft, hat sich einen Ruf als Exzentriker und schlechter Übersetzer hermetischer und theosophischer Bücher erworben. Der Zotenreißer Vázquez zeigt keine Hemmungen, Übersetzungen zusammenzufabulieren, wenn er das Original verlegt hat. Der skandalumwitterte Neurologe Blanes führt den Teilnehmern der Tagung seinen Begleiter vor, der sich trotz seiner geistigen Behinderung als Übersetzungsgenie entpuppt. Der Linguist Naum gilt als Experte auf dem Gebiet der Magie und Alchimie, der im „Schweigen einer Sprache“ das wahre Problem sieht. De Blast, Protagonist und Erzähler, der sich als Fremder im eigenen Land sieht, hat als seriöser Vertreter seines Berufsstandes einmal mehr Schwierigkeiten, inmitten der illustren Truppe vertraute Verbündete zu finden. Eine Ausnahme ist das Wiedersehen mit Ana Despina, einer verflossenen Liebe, die ihm der Rivale Naum einst ausgespannt hat. Den Todesfällen wird eine Dreiecksgeschichte beigemischt, die für die psychologische Spannung sorgt. Pablo De Santis bringt durch die Charaktere seiner Figuren phantastische Elemente ins Spiel und zeigt literarische Verwandtschaft zu seinem Landsmann Jorge Luis Borges.

Kriminalgeschichten sind in erster Linie ein Sprachspiel, eine belletristische Variante der Bilder von Escher. Verrätselungen nach angelsächsischer Rezeptur, die vermeintliche Zusammenhänge signalisieren und auf zahlreiche, verwinkelte Nebenpfade zu führen, fehlen in Die Übersetzung. Mit derlei Konstruktionstechniken hält Pablo De Santis sich nicht auf. Seine Erzählweise, alle Ereignisse auf den Fortgang der Handlung zu beziehen, rückt ihn in die Nähe zu Edgar Allan Poe. In dichter, oftmals lakonischer Sprache, ohne abschweifende Pirouetten, strebt die Erzählung geradewegs auf den Plot zu, als ob der Autor die Zeit des Lesers nicht länger als nötig beanspruchen möchte. Eine Chance, hinter den wahren Sachverhalt zu kommen, hat selbst der Gewiefteste in Die Übersetzung nicht, da die Tatwaffe so ausgefallen wie genial ist: die Sprache.

So ist das Buch nach 151 Seiten schon zu Ende. Ein schmaler Roman zwar, aber ein lesenswertes Kleinod.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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