Eine Rezension von Bernd Heimberger

Sterben eines Schönen

Josef Winkler: Natura morta.
Eine römische Novelle.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001, 102 Seiten

Was muß Josef Winkler wem beweisen? Der Österreicher muß sich sein Schreiben beweisen, indem er schreibt. Geschrieben hat er die mit Fug und Recht mit dem „Döblinpreis 2001“ dekorierte Novelle Natura morta. – Bitte, bitte nicht vor dem Lesen den Klappentext zur Kenntnis nehmen! Er verstellt völlig den Blick für jene stille Betrachtung, die das Buch braucht und will. Winklers Prosa ist ungeeignet fürs Schnell- und Nebenbei-Lesen. Was nicht ausschließt, daß Natura morta ganz schnell langsam gelesen wird. Und sei es nur, um endlich wieder einmal zwei, drei Stunden jenseits der Arkaden-, Kolonnaden-, Center-Kultur der Kunstblumen und -bäume zu sein. Der Schriftsteller schildert die Schönheit, Erotik, Morbidität eines römischen Schlachtmarktes. Seine Vitalität läßt sämtliche Supermärkte wie geschminkte Leichname aussehen. Wo der Tod der tierischen Kreatur das Geschäft ist, hat die menschliche Kreatur kein anderes Geschick. Will es das Schicksal, sind Nutztier und Nutznießer gleichermaßen Opfer. In der Novelle schnappt sich das Schicksal einen attraktiven Marktjungen mit auffällig „langen, fast seine Wangen berührenden Wimpern“. Einen Knaben, der, wie der Prosaist zu sagen pflegt, in alle verliebt sein kann wie alle in ihn. Den Autor nicht ausgeschlossen, der sein Verliebtsein gern mit den Lesern teilen möchte. Wer den Jungen Piccoletto lieb gewinnt, wird sein unerwartetes Sterben als Schock empfinden. Wird das wie selbstverständlich hingenommene Töten der Tiere auf dem Markt plötzlich zweifelnd wahrnehmen. Zwischen Marktware, Marktverkäufern, Marktkäufern gibt’s Beziehungen, die belangvoller sind, als sie meist betrachtet werden. Doch alles hat mit allem zu tun! Winklers Novelle ist ein lustbetonendes Epitaph, das die kreatürliche Existenz jeglicher Gestalt ehrt. Um das zu verstehen, muß man kein Italienisch verstehen, das Winkler als Silberfäden in seine Texte wob. Ohnehin hat die Welt nur die eine Sprache des Gefühls. Die schreibt Josef Winkler, der Szenen aufgeschrieben hat, die von Sinn und Widersinn des Weltschicksals Sterben erzählen. Natura morta, Josef Winklers Buch vom Tod, ist kein Trost und doch tröstlich. Der Tod, das ist die einzige Wahrheit, ist immer das Natürliche. – Was niemand beweisen muß. – So unnatürlich der Tod den Menschen auch erscheint.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite