Eine Rezension von Bernd Heimberger

Mächtig Mitte

Hrsg. Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke: Berlin Mitte. Das Lexikon.
Autoren: Kathrin Chod u. a.
Stapp Verlag Wolfgang Stapp, Berlin 2001, 808 Seiten

Als Berlin gevierteilt wurde und dann gezweiteilt, war Berlin-Mitte der westlichste, unentwickeltste Teil Ost-Berlins. West-Berlin machte sich eine Mitte um den Breitscheidplatz. Die Ost-Berliner Mitte etablierte sich um den Alexanderplatz. In der Mitte blieb Platz für die Zukunft. Die begann im Herbst ’89. Kein Stadtbezirk hat sich in den neunziger Jahren so rigoros verändert wie Mitte. Mitte, aus der Zwangs-Randlage befreit, seit dem 1. Januar 2000 mit Tiergarten und Wedding vereint, ist ordentlich in die Breite gegangen. Für Mitte mag die Erweiterung so maßgeblich sein wie die Entscheidung vom 16. April 1871, als Berlin Reichshauptstadt wurde und vom 1. Oktober 1920, als Groß-Berlin gebildet wurde. Die Bedeutung, die Groß-Mitte im laufenden Jahrhundert bekommt, ist zu erahnen.

Was und wie Berlin-Mitte war und ist, faßt ein einzigartiger Band zusammen. Berlin Mitte. Das Lexikon ist eine Publikation, die eine Reihe weiterer Publikationen anführt. In vergleichbarer Weise sollen auch die anderen Stadtbezirke vor- und dargestellt werden. Die Bezirke wird’s freuen. Leser aller Altersstufen dürfen gespannt sein. Das Lexikon Berlin Mitte wird nicht nur Interessierte stundenlang, tagelang beschäftigen. Immer wieder wird es Gründe geben, den Band aufzuschlagen. Die begonnene Reihe der Stadtbezirks-Lexika verspricht, ein Standardwerk zu werden, das sich mit der Weiterentwicklung der Bezirke mitentwickelt. Leser können zu stillen Mitautoren werden, sofern sie Herausgebern wie Autoren Hinweise zur Komplettierung des Lexikons geben.

Jede Annotation hält auf, weil jeder Eintrag eine Fülle von Informationen liefert. Manchmal müßten die Annotationen weniger aufhalten. Gesagtes wird wiederholt. Das fällt sofort auf, wenn hintereinander gelesen wird, was zu Luxemburg, Rosa, und Liebknecht, Karl, notiert ist. Ob jemand auf den Gedanken kommt, wenn von Landwehrkanal und Neuem See die Rede ist, nachzusehen, was es mit der Tiergarten-Brücke auf sich hat, von der sich einst ein polnisches Mädel stürzte? Aus dem Wasser gefischt, geisterte die Gerettete als Anastasia – die russische Zarentochter – Jahrzehnte durch die Weltgeschichte. Kein Eintrag zu der A.! Auch kein Eintrag zu Udet, Ernst, dem „Fliegerhelden“, dessen Grabmal auf dem Invalidenfriedhof zu finden ist. Die vielberedete „Mulackritze“, Ganoven- und Künstler-Kneipe der Zwanziger, deren Inventar noch nicht restlos zerhackt ist, wird in der Annotation zur Mulackstraße keines Worte gewürdigt. Wieso die Lily Becher, Witwe des Dichters Johannes R. Becher, einen eignen Eintrag bekam, macht einem der Text nicht wirklich klar. Klar, daß der Journalist Helmut Küster ins Lexikon gehört!? Schließlich war’s sein Schicksal, vom einstürzenden Dach der Kongreßhalle erschlagen zu werden. Nicht mosern! Das Lexikon ist ein selten reges Geschichtsbuch voller Geschichten zur Berliner Stadt-Mitte. Bekanntes und Unbekanntes, was für die Geschichte der Weltstadt Berlin von Belang und Bedeutung war, ist in einem Lexikon zu finden, das von Belang und Bedeutung ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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