Eine Rezension von Bernd Heimberger

Im Dunkel der Dämmerung

Thomas Böhme: Dämmerung mit Dingen
Galrev Druck- und Verlagsgesellschaft, Berlin 2001, 93 Seiten

Ein Autor ist ein Autor – ist ein Autor! Er ist kein Aufbau-Autor oder Galrev-Autor. So gern Verlage Autoren auch ihren Verlagsnamen tragen lassen wie ein Stirnband. Demnach wäre Thomas Böhme nun ein Galrev-Autor. In keinem anderen Verlag hat der Leipziger so viele Bücher veröffentlicht. Dämmerung mit Dingen ist Böhmes vierter Band in dem Berliner Druckhaus, das bevorzugt Autoren, von Barbara Bongartz bis Ulrich Zieger, betreut.

Die Erzählung ist Literatur – ist Literatur – ist Literatur. Der stark dialogische, novellistische Text verweigert sich jeder schnellen wie simplen Inhaltswiedergabe. Jede noch so eindeutige, einzige Inhaltswiedergabe ließe sich durch eine nächste eindeutige, einzige Inhaltswiedergabe ersetzen. Einigen wir uns: Ein junger Junge begegnet einem nicht alten Alten. Beide verlassen eine Stadt, um sich auf eine verlassene Insel einzulassen, die kein Aufenthaltsort für Verlassene ist. Zwei sind auf gemeinsamem Weg, auf einsamen Wegen. Im Begegnen bleiben sie ohne Begegnungen. In ihrer Beziehung sind sie beziehungslos. Alker, der Mann, Bell, der Junge, sind Insulaner. Ihre Welt ist nicht wirkliche Welt. Ihre Welt ist die Wahrnehmung der Dinge der Welt, die Alkers und Bells Welt sind. Sie geben, sie nehmen kaum zur Kenntnis, was konkreten Zeitumständen zuzuordnen wäre. Den Lichtbogen der Erotik bringen sie nicht zum Zünden. Fantasie ist nicht der Freund der Freunde. Fantasie ist der Feind der Freunde ohne Freundschaft. Derart deutlich muß der Leser in der Deutung der Erzählung nicht werden. Möglicherweise ist die Begegnung mit Bell und die gemeinsame Reise die Fiktion eines Ältergewordenen, Alleingelassenen, Abseitsstehenden. Möglich wird’s, Dämmerung mit Dingen als eine Geschwister-Erzählung zu Hans Henny Jahnns Die Nacht aus Blei zu lesen. Das Wirkliche ist fiktionalisiert und das Fiktionale wirklich. Unglaubliches glaubhaft zu machen bedeutet, den Varianten des Lebens Variationen zuzuspielen. Das ist das literarische Spiel, das Jahnn und Böhme spielen.

Die Begegnung der Ungleichen kann der Erzähler benutzen, um die potentielle Tötung Alkers durch Bell durchzuspielen. Das heißt, eine Tötung aus Leidenschaft und in der Lust. Das heißt, den kaschierten Selbstmord, wie ihn sich – vielleicht – ein Pier Paolo Pasolini wünschte. Sind das die wesentlichen Dinge, die in Böhmes Dämmerung mit Dingen durchschimmern? Wieso dem Ganzen die Realität zurückgeben, aus der der Schriftsteller die Szenen der Geschichte löste? Nur so konnte er eine literarische Geschichte gewinnen, die vom Verlieren und Entfernen erzählt, sobald Mensch Mensch trifft. Oder nicht trifft im Treffen.

Was würde, wenn, ein Aufeinandertreffen auslösen? Einen Lichtbogen? Für einen Augenblick? Die Dinge sind nicht so, daß es lichter wird in der Dämmerung. Thomas Böhme tastet sich mit seinen Texten durch das Dunkel der Seele. Die Seele ist eine Seele – ist eine Seele!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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