Eine Rezension von Volker Strebel

Ich glaub’, du führst zwei Leben

Sabine Zurmühl: Das Leben, dieser Augenblick
Die Biografie der Maxie Wander.
Henschel Verlag, Berlin 2001, 320 S.

In den 70er Jahren wurden in der muffigen DDR Reportagen veröffentlicht, die ein bislang unbekanntes Format aufwiesen: Die Pantherfrau (1973) von Sarah Kirsch und Guten Morgen, du Schöne (1977) von Maxie Wander. Eine Mischung von ungewöhnlichen Lebensläufen und kecken Fragestellungen zum sogenannten normalen Leben ließ gerade jugendliche Leser aufhorchen. Kritische Literatur in der DDR?

Es schien, als hätte sich Erich Honeckers prägnanter Satz vom Dezember 1971, daß es in der DDR keine Tabus geben dürfe, wenn sich ein Künstler auf dem Boden des realen Sozialismus bewege, durchgesetzt.

Maxie Wanders freche Fragen fielen auf. Was Nachrichten und Informationen betraf, hatte das lesehungrige Publikum in der DDR das Studium parteiamtlicher Bleiwüsten längst gegen den Empfang des Westfernsehens getauscht. Und mit einem Male berichten lesenswerte Reportagen von Problemen im Land. Etwas Neues kündigte sich an. Doch wer war diese Maxie Wander?

Sabine Zurmühl hat sich die Mühe gemacht und gute zehn Jahre nach dem Ende der DDR eine vorzüglich erarbeitete Biografie der Maxie Wander in einem spannend geschriebenen Buch vorgelegt. Eine Studie, die in ihrem lebensnahen und von Sympathie gezeichneten Porträt Maxie Wanders gleichzeitig die Wirren des Kalten Krieges und des Alltags der DDR abbildet.

Maxie Wander wurde 1933 in Wien als Elfriede Brunner geboren. Elternhaus sowie Kindheit und Jugend waren von einem bis in die Verwandtschaft hinein gewachsenem KPÖ-Milieu geprägt. Die Hitler-Gegnerschaft war selbstverständlich. Als die junge Wienerin den 16 Jahre älteren Schriftsteller Fred Wander kennenlernte, war der Weg zu einem ungewöhnlichen Leben eröffnet worden. Fred Wander war KZ-Überlebender, ebenfalls Kommunist und Journalist mit literarischen Ambitionen. Als sich im März 1958 das junge Paar für die vorläufige Übersiedlung in die DDR entschieden hatte, war dies für Maxies Eltern kein politischer Schock. Schwer wog jedoch der Schmerz über die weite Entfernung. Maxie aber folgte ihrem Ehemann, der damals in der DDR deutlich bessere Möglichkeiten sah, als Schriftsteller Fuß zu fassen. Es verschlägt die beiden nach Kleinmachnow, einem Nest dicht an der damaligen Grenze zwischen Berlin und Berlin. „Ein Zufall, vielleicht eine Art Bestimmung? Leben wir nicht immer in Grenzgebieten?“ schreibt Maxie keck, und „Fred kennt eigentlich nix anderes“. Aber das hört sich eher wie eine Selbstberuhigung an. Die Wanders erleben, wie ihre Obstbäumchen einem Sicherungsstreifen zum Opfer fallen. Sabine Zurmühl protokolliert: „Nach einem starken Zaun durch den eh schon kleinen Garten noch ein nächster starker Zaun. Schließlich ein zusätzliches Stück Niemandsland und noch ein Drahtgeflecht. Anwohner müssen Keller und Garagen jederzeit kontrollieren lassen, und keine Leiter soll unangekettet in irgendeinem Garten herumstehen. Auch sollen Löcher in den Gärten nicht tiefer als einen Meter gegraben werden.“ Maxie Wanders alte Wiener Freundin Anni schüttelt darüber den Kopf, denn sie kennt die unbezähmbare Lebenslust von Maxie, ihren Drang zur Freiheit und Lebensfreude: „Ich glaub’, du führst zwei Leben!“

Es beginnt ein DDR-Leben voller Unrast, und gleichzeitig werden Freunde für das ganze Leben gewonnen. Maxie tut alles, um ihrem „Jossl“ das Schreiben zu erleichtern - und schreibt selbst Tausende von Zetteln und Kladden. Zerrissen zwischen Familie und Phantasie, Träumen und rauher Wirklichkeit. Maxie eckt an in der engen DDR. Sie fragt nach, während die anderen stumm wegsehen, und notiert sich: „ Sind das die mündigen, wissenden, allseitig entwickelten Menschen, die wir hervorbringen wollen?“ Sie hätte sich gewundert nach der „Wende“ - über manch „kesse Sprüche“ ehemaliger Mitläufer.

Der Unfalltod ihrer Tochter Kitty bringt Maxie Wander fast um den Verstand. Sie steht in ihren besten Jahren, als die Ärzte Brustkrebs diagnostizieren. Eine der wichtigsten Wegbegleiterinnen, die Schriftstellerin Christa Wolf, hielt nach dem frühen Tod von Maxie Wander im November 1977 eine beachtliche Grabrede.

„Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen“, schrieb Goethe. Sabine Zurmühl hat sich die Topographien genau angesehen, sie war in den neuen Bundesländern und natürlich in Wien. Der Leser registriert diesen Aufwand in der angenehmen atmosphärischen Dichte. „Stell dir vor“, schreibt Maxie bereits aus dem Krankenhaus an Freunde, „wenn Fred auch ein Unglück zustößt, steht Dani ganz allein da in einem fremden Land.“ Nicht auszuschließen, daß Maxie Wander dabei auch an eine Fremdheit gedacht hatte, der selbst eine Wiedervereinigung nicht hätte Heimat bieten können.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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