Eine Rezension von Volker Strebel

Von der Ökologie des Geistes

Miloslav Kardinal Vlk: Wird Europa heidnisch?
Ein Gespräch mit Rudolf Kucera.
Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2000, 200 S.

Ein Theologe im Gespräch mit einem Politikwissenschaftler über die Zukunft des Christentums in Europa. Eine solche Unterhaltung gewinnt an zusätzlicher Spannung, wenn man die biographischen Hintergründe der Gesprächsteilnehmer bedenkt. Miloslav Kardinal Vlk war zwar im reformkommunistischen Jahr 1968 zum Priester geweiht worden, seine seelsorgerliche Tätigkeit als Pfarrer im Böhmerwald war den Kommunisten aber bald ein Dorn im Auge. 1978 erhielt er Berufsverbot. Fast zehn Jahre verdiente sich Miloslav Vlk sein Brot als Fensterputzer. Erst die „samtene Revolution“ im Jahr 1989 verhilft Vlk wieder in den Priesterstand. Seit 1991 ist Miloslav Vlk Erzbischof von Prag, seit 1994 Kardinal. Auch seinen weltlichen Gesprächspartner traf ein hartes politisches Schicksal in der „normalisierten“ CSSR der 70er und 80er Jahre. Nach seiner Unterzeichnung der CHARTA 77 verlor Rudolf Kucera seine Tätigkeit an der Akademie der Wissenschaften und wurde Bauarbeiter. Übrigens hatten auch die beiden Staatssekretäre der reformkommunistischen Ministerin Erika Kadlecová - zuständig für die Angelegenheiten der Kirchen - Jaroslav Hranicka und Ladislav Prokupek ihre Posten nach der Invasion im August 1968 abgeben müssen. Der eine kam bei der Prager Metro unter, der andere fristete sein Dasein als Maurer. Die Ministerin wurde in Rente geschickt. Eine irre Situation, die Kommunisten ebenso verschlang wie Christen, Historiker ebenso wie Schriftsteller.

Um so aufschlußreicher liest sich heute ein solches Gespräch, zumal der Themenbogen weit gespannt ist. Kucera und Vlk gelingt es, in eindrücklicher Weise die vergangenen Jahrzehnte zu besprechen, ohne die Perspektive einer Zukunft aus den Augen zu verlieren. Beide hatten erlebt, daß es ohne einen klärenden Blick in die Vergangenheit kein redliches Leben in der Gegenwart geben kann. Und beide wissen aus ihren Erfahrungen, daß ein radikaler Blick dem Wortsinne nach auf die Wurzeln fallen muß. „Schlaglichter auf 2000 Jahre“ und „Die Seele Europas“ lauten jene Gesprächsüberschriften, die ohne taktierenden Hintergedanken Hintergründe aufzudecken versuchen. Kardinal Vlk scheut auch keine heißen Eisen wie die Thematik der Vertreibung der Böhmendeutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. „Der Kommunismus brauchte immer einen Feind“, erklärt Vlk, ganze Generationen sind ideologisch erzogen worden: „Auf diese Weise ist jeder Tscheche ein wenig deformiert, die Vertreibung wirklich wahrzunehmen, sie kritisch zu betrachten und nahezu unfähig gemacht, sie zu verarbeiten.“

Eine mechanische, verordnete Umorganisation von der Planwirtschaft zum freien Markt ändert noch lange nicht die Mentalitäten der Menschen. „In unseren Knochen steckt das Erbe des Kommunismus“, deutet Kardinal Vlk an und bekennt sich zu einem „Wandel der Herzen“. „Konsumismus“ und „Kommunismus“ werden nicht leichtfertig gleichgesetzt, aber Kardinal Vlk weist im Abschnitt „Europäische Begegnungen“ darauf hin, daß Erfahrungen der Menschen im Westen mit denjenigen der Bewohner im ehemaligen Ostblock sich kreuzen können. Damit nimmt Vlk die geistliche Dimension im Leben und in der Gesellschaft ernst. Er ist zutiefst davon überzeugt, „daß es ohne Gott und ohne den Glauben nicht so weitergeht“. Nicht eine platte Wertediskussion ist gefragt, sondern die im Glauben verankerte Liebe der Menschen als konkrete, tägliche Herausforderung. Ohne Verankerung ist ein Mensch so „frei wie ein Blatt am Baum, blasen ihn Winde, wie sie gerade wollen“. Entscheidende Orte, diese Glaubensüberzeugungen verbindlich zu leben, sind bei Kardinal Vlk vor allem die Familie, an der sich im Kleinen das Große bereits vorleben läßt. Vieles an tradierten Werten und Überzeugungen wurde in den vergangenen Jahrzehnten säkularisiert und einer unangebrachten Häme ausgesetzt. Miloslav Kardinal Vlk setzt sich der Diskussion mit offenem Herzen aus, ohne seine Überzeugungen zu verbergen. „Nicht nur,“ schreibt sein Gesprächspartner Rudolf Kucera, „daß er die Gabe hat, seine Ansichten glaubhaft zu machen, Kardinal Vlk vermittelt vor allem die Sicherheit, daß das Christentum eine Kraft ist, die jedermann befreien und ändern kann.“

Kucera wie Vlk haben schwierige Zeiten hinter sich und wissen, daß die „Mühen der Ebenen“ vor ihnen liegen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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