Eine Rezension von Friedrich Schimmel
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Berühmt, berüchtigt oder vergessen

Charlotte Ueckert: Margarete Susman und Else Lasker-Schüler
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2000, 159 S.

Eine Duographie (die Europäische Verlagsanstalt legt hier schon den Band 10 einer eigenen Reihe vor) muß erklärt werden: Wiederholte Spiegelung reicht nicht aus. Anders als eine Biographie behauptet die Duographie nicht, ein Leben vollkommen aufzuklären. Behauptet auch nicht, anders als die Monographie erschöpfend und systematisch ein Ganzes aufzubauen. Und - verkündet der Verlag gleich zu Beginn - die Duographie strebt danach, die unendlichen Möglichkeiten und Wechselfälle der Zeit im Spiegel zweier Persönlichkeiten festzuhalten. Hier sind es die beiden Dichterinnen Margarete Susman und Else Lasker-Schüler, die weithin Unbekannte neben der Bekannten. Die eine schwermütig, die andere in eine ganz eigene Traumwelt eingesponnen. Beide entstammen sie jüdischen Kaufmanns- und Bankiersfamilien. Beide lebten sie in Berlin, beide wollten sie Frau und Künstlerin sein.

Else Lasker-Schüler, ewig verliebt, schrieb ihre Gedichte für die jeweils Erkorenen, die sie zu Göttern erhob. Sie entwarf sich eine poetische Welt, in der mythische neben konkreten Figuren vorkommen, unter ihnen die Dichterfreunde Theodor Däubler, Georg Trakl, Franz Werfel, Gottfried Benn und Ernst Toller. Sie verband gedanklich-poetisch Judentum und deutsche Erfahrungen.

Ganz anders hingegen Margarete Susman. Eher schüchtern, ewig mit Skrupeln behaftet, wenn es um die Veröffentlichung von Gedichten geht. Charlotte Ueckert zeichnet das Bild einer Frau, die - im Gegensatz zu Lasker-Schüler - zurückgezogen lebte, andere nicht „mit Briefen bombardierte, von denen sie Unterstützung erhoffte“. Worum es der Autorin in beiden Biographien geht: die „Rekonstruktion des Wesens einer Frau, die bewußt oder unbewußt eine ganz bestimmte Lebenshaltung kultiviert hat“. Gesammelt wurden viele Details, die ein wechselreiches Bild ergeben. Einmal sogar wird ein fiktiver Dialog zwischen beiden versucht, das eine und das ganz andere Leben.

Die Susman schreibt schließlich im Alter von neunzig Jahren, daß sie dennoch viele Leben gelebt habe. Immer war ihr Leben „ein Erwachen aus einem immer erneuten Traum“. Viel innere Wandlung und Verwandlung. Wohingegen die Lasker-Schüler im Gedicht traumnah die Welt verwandelte. „Gerechtigkeit“ gilt der Margarete Susman als eines der Schlüsselworte im Werk. Als assimilierte Jüdin empfand sie das Judentum als „Last“, der sie sich aber dennoch nicht entziehen wollte. Ein Leben lang zwischen Juden- und Christentum hin- und hergerissen, versucht sie in Gedichten, Essays und Briefen, ein eigenes Gott-Bild zu entwerfen. „Wie sich dieser Person nähern?“ fragt die Autorin dieser Duographie. Biographisch minutiös, immer den Blick auf die Innenräume dieses Lebens gerichtet, entsteht ein erstaunliches, ein intensiv gelebtes Leben. Darunter findet sich auch eine Leidenschaft zum Philosophen Ernst Bloch, der sie, schränkt Charlotte Ueckert ein, „nicht nachgegeben hat“. In der Summe ein Leben in bürgerlicher Zurückgezogenheit, also ganz anders als das der Lasker-Schüler, die in der Berliner Zeit exaltiert lebt und dichtet. Zwei Versuche, das Leben einer selbstbewußten und schöpferischen Frau im späten neunzehnten und im frühen zwanzigsten Jahrhundert zu leben.

Auch bei der Lasker-Schüler ist es vor allem das Judentum, das dem Leben Halt und Bestimmung gibt. „Niemals ein Gesetzesjudentum, sondern eines, das sich an freiheitlichen Traditionen orientiert, das sich einer intellektuellen und künstlerischen Elite zurechnet.“ (Charlotte Ueckert)

Die Lasker-Schüler war nicht zimperlich im Umgang mit den Meinungen der Männer. Gegenüber Martin Buber setzte sie scharfe Töne, um ganz und gar ihr eigenes dichterisches Selbst hervorzukehren, weil sie nur sich selbst kannte und von sich nur Auskunft geben wollte. Mag sein, daß sie eine „egomane Künstlerpersönlichkeit“ war, wie Charlotte Ueckert schreibt. Daß vieles sich gegen sie selbst wandte, war eine intensive Erfahrung des gelebten Lebens. Nicht der Vergleich zwischen beiden Frauen und Dichterinnen zählt hier in erster Linie, es ist das Verschiedenartige beider Wege.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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